Page - 262 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen262
mente aus Graz und Umgebung“ verschlechtere die lokalen Sicherheitsverhältnisse
wesentlich.36 Die „Sicherheit“ sei dem Bericht zufolge ohnehin schon aufgrund der
„großen Menge[n] von meist auswärtigen teilweise unverlässliche[n] Arbeiter[n]“
der umliegenden Montanindustrie beeinträchtigt. Es sei daher „unbedingt not-
wendig, die Gendarmerie des Bezirkes einschließlich der in Pack zu errichten-
den Automobilkontrollstation um mindestens 20 geeignete Landsturmmänner
zu verstärken“.37 Nicht minder gravierend beurteilte die BH Leoben die Lage. Die
Arbeiterschaft des Glanzkohlebergbaus Seegraben bestehe zum überwiegenden
Teil „aus sehr zweifelhaften Elementen [..., die] eine Verstärkung der kleinen, zur
Bewachung des Bergbaues in Seegraben exponierten Militärabteilung notwendig“
erscheinen lassen.38 Denn ansonsten könne man nicht mehr für die Aufrechterhal-
tung der „Sicherheit“ garantieren. Dreh- und Angelpunkt dieser Berichte ist nicht
die „Einheit“ und das gesellschaftliche Zusammenhalten, sondern die Gefährdung
der „Ruhe und Ordnung“, die – den Berichten der Bezirkshauptmannschaften
zufolge – prinzipiell von Arbeitslosen ausgehe und die sich beispielsweise durch
die umliegende Montanindustrie sogar noch erhöhe. Zudem reiche das perso-
nelle und finanzielle Aufgebot nicht dazu aus, den Arbeitslosen „in zweckmäßiger
Weise entgegenzutreten.“39 Diesen Einschätzungen der Behörden lässt sich hinzu-
fügen, dass Arbeitslose prinzipiell für die österreichisch-ungarische Verwaltung
„einen möglichen Unruheherd dar[stellten], durch den die Mobilmachung unter
Umständen gestört werden konnte.“40 Schließlich kam es ja auch zu Streiks (von
Erwerbstätigen).41 Bereits Mitte August 1914 legte ein Teil der Arbeiterschaft der
36 BH Voitsberg an Statthalterei-Präsidium, 7.8.1914, in: StLA, Statt. Präs. E91/1786/1914.
37 Ebd.
38 BH Leoben an Statthalterei-Präsidium, 1.9.1914, in: StLA, Statt. Präs. E91/2054/1914. Der Glanz-
kohlebergbau liegt nördlich der Leobener-Murschleife und gehörte zur Österreichischen Alpinen
Montangesellschaft.
39 BH Voitsberg an Statthalterei-Präsidium, 7.8.1914, in: StLA, Statt. Präs. E91/1786/1914.
40 Grandner (1992), 62.
41 Der k. k. Statistiker Richard Boleslawski griff in seinem Fachzeitschriftenartikel „Die Streikbe-
wegung in Österreich während des Krieges im Vergleiche zur Friedenszeit“, der 1919 in der „Sta-
tistischen Monatsschrift“ abgedruckt wurde, u. a. auf ein nicht näher beschriebenes „[Daten-]
Urmaterial“ zurück. Seine Aussagen über die Kriegsstreiks beziehen sich zur Gänze auf dieses
(unnachvollziehbare) „Urmaterial“. Boleslawski beschrieb die Kriegsstreiks folgendermaßen: An
den 23 Streiks, die vor Ausbruch des Kriegs in 88 cisleithanischen Betrieben begonnen wurden
und die in die Kriegszeit (28. Juli) hineinreichten, beteiligten sich insgesamt 2.358 Menschen.
Sechs dieser 23 Streiks endeten zwischen 28. Juli und 31. Juli. Die restlichen 17 Streiks hörten
im August 1914 auf. In den ersten fünf Kriegsmonaten kam es in Cisleithanien zu weiteren 18
Streiks (in 21 Betrieben), an denen sich 3.699 Menschen beteiligten. Diese ersten Kriegsstreiks
waren sehr kurz und (aus Sicht der Streikenden) eher erfolglos. Zwischen 1904 und 1913 kamen
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453