Page - 264 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen264
Androhung von Strafen, was natürlich auch geschah.“45 Die bürgerlichen Zeitun-
gen beschäftigten sich anfänglich nur selten mit den Hamsterfahrten (aufs Land).46
Dort, wo sie es tat, ergriff sie aber nie dezidiert Partei für eine der beiden Seiten.
Mit der Zeit schlug sich beispielsweise die (bürgerliche) Mittags-Zeitung bezüglich
der Frage, ob Hamsterfahrten aufs Land moralisch legitim sind, dann doch auf die
Seite der Städterinnen und Städter. In den letzten beiden Kriegsjahren ergriff sie
regelmäßig Partei „für den kleine[n] Rucksackverkehr, der [sich] nur die allerdrin-
gendste Zubuße“ verschaffe.47 Mehrmals kritisierte sie die „scharfe Maßnahme“,
dass man den Menschen ihre „mit großer Mühe nach Graz geschleppten Kartof-
feln“ am Bahnhof abnahm.48 Die Mittags-Zeitung gab daher einige Male bekannt,
wann und wo das Militär zur Beschlagnahmung bereitstand.49 Das tat sie, weil sie
die Beschlagnahmungen für überzogen hielt: „Wie wir erfahren [haben], sind auch
vorigen Sonntag [den 16. September 1917] zahlreiche Leute, die sich rucksack-
weise Kartoffeln vom Lande holten, in die aufgestellten Fallen gegangen“.50 Im Zuge
dessen wurde ihre „schwer erkämpfte Beute beschlagnahmt.“51 Die hier zitierte
Parteinahme setzte mit folgendem Satz fort: „Ob man gut tut, gegen diese Versuche
der Selbstproviantierung mit aller Strenge vorzugehen, ist sehr die Frage.“ Zudem
echauffierte sich die Mittags-Zeitung über diejenigen Bauern und Bäuerinnen, die
sich gegen die hamsternde Stadtbevölkerung wehrten. Viele dieser Ausschreitun-
gen wurden von der Mittags-Zeitung als „Beispiel grenzenlosen Bauernübermutes
und von Ro[h]heit, wie sie leider in der Landbevölkerung immer mehr um sich
greifen“, angesehen.52 Die Landbevölkerung zeige dabei „gegen die Städter Haß
und Verachtung, die durch nichts begründet sind.“53 Aussagen wie diese verdeut-
lichen, dass sich der Stadt-Land-Konflikt mehr und mehr verschärfte. In einem
Leitartikel des Arbeiterwillens aus dem Jahr 1916 hieß es diesbezüglich:
„Der Krieg hat die Gegensätze zwischen Stadt und Land, die ja vordem schon bestanden
haben, ungemein verschärft. Die die fast ausschließlichen materiellen Opfer des Krieges
sind, sahen, wie durch den Krieg auf dem Lande immer größere Wohlhabenheit einge-
45 Ebd.
46 Mit den Hamsterkäufen in der Stadt beschäftigten sie sich hingegen sehr wohl.
47 Achtung Hamster!, in: Grazer Mittags-Zeitung, 24.5.1918, 2.
48 Die Kartoffelversorgung, in: Grazer Mittags-Zeitung, 4.9.1917, 3.
49 Achtung Hamster!, in: Grazer Mittags-Zeitung, 24.5.1918, 2.
50 Hamsterfallen, in: Grazer Mittags-Zeitung, 19.9.1917, 3.
51 Ebd.
52 Bauernübermut, in: Grazer Mittags-Zeitung, 6.7.1918, 2.
53 Ebd.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453