Page - 268 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen268
sierte: Streitereien, Schlägereien, Bajonett- und Messerattacken, Belästigungen71,
Vergewaltigungen72 und so weiter. Der Andrang endete am 6. August. Das geht
aus dem Artikel „Beruhigung des Publikums wegen der Sparkassengelder“ her-
vor.73 In diesem verlautbarte die Steiermärkische Sparkasse, dass seit 7. August die
Einlagen wieder die Abhebungen überstiegen und dass „eine vollständige Beru-
higung“ der Grazer Bevölkerung eingetreten sei. Der Andrang auf die Geldinsti-
tute ist hauptsächlich auf eine Angst (zeitgenössisch: „Kriegsfurcht“74 oder „starke
Nervosität“75) vor dem Verlust des Geldwertes und der Liquidität der Geldinstitute
zurückzuführen. Des Weiteren betonte die Presse, dass weder die Regierung noch
Russland das verwahrte Geld einziehen könnte.76 Abseits dieser Liquiditätsängste
benötigten viele neue, kriegsbedingte Alltagsmomente eine Finanzierung. Die
Frage, was man sich leisten konnte, wollte und musste, verschärfte sich in diesen
Tagen massiv. Man musste die Miete bezahlen, sofern man nicht delogiert wer-
den wollte (Mietzinsfrage).77 Ferner beanspruchten Erwerbslose ihre Notreserve.
Im Übrigen kosteten – so banal es klingen mag – die Hamsterkäufe, die Kriegs-
trauungen, die Vereinsmitgliedschaften sowie die private Ausstattung der Soldaten
Geld. Nichtsdestoweniger stockten die staatlichen Moratorien78 den privatrechtli-
chen Zahlungsverkehr. Von nun an konnte man bei den Kreditinstituten nur mehr
200 Kronen abheben. Anfänglich zahlten die Steiermärkische Sparkasse und die
Südmärkische Volksbank jedoch weiterhin Beiträge über 200 Kronen aus.79 Die
anderen Institute hielten sich von Anbeginn an die Moratorien, was einen Teil
der Bevölkerung verunsicherte. Der Glaube, dass das Geld wegen der Abhebebe-
schränkung nicht sicher sei, kam auch in den Grazer Tageszeitungen zur Sprache.80
Ich konnte nicht feststellen, wie viel Geld nun tatsächlich abgehoben wurde. Einen
nach Monaten aufgeschlüsselten Rechenschaftsbericht fand ich nicht. Zusätzlich
dazu wurde zu Kriegsbeginn die (traditionelle) Veröffentlichung der Jahresbilan-
71 Mariatrost. (Ein unschädlich gemachter Wüstling.), in: Grazer Vorortezeitung, 16.8.1914, 2.
72 Eine Lehrerin überfallen und vergewaltigt, in: Arbeiterwille, 2.7.1914, 7.
73 Beruhigung des Publikums wegen der Sparkassengelder, in: Kleine Zeitung, 9.8.1914, 4.
74 Kriegsfurcht der Geldeinleger, in: Grazer Tagblatt, 11.8.1914, 10. Vgl. auch: Die Kriegsfurcht der
Geldeinleger, in: Grazer Vorortezeitung 16.8.1914, 3.
75 Strumpf oder Sparkasse?, in: Grazer Volksblatt, 26.7.1914, 5.
76 Vgl. z. B. Keine Gefahr für die Sparanlagen!, in: Sonntagsbote, 2.8.1914, 9.
77 Für die Familien der Mobilisierten, in: Sonntagsbote, 2.8.1914, 9. Zur Mietzinsfrage siehe das
Kapitel: Mietzins.
78 Vgl. das erste Moratorium in: RGBl. Nr. 193/1914. Ferner: RGBl. Nr. 216/1914; RGBl.
Nr. 223/1914; RGBl. Nr. 237/1914; RGBl. Nr. 242/1914. Zum Hintergrund: Grandner (1992), 60.
79 Rauchenwald (2000), 331.
80 Das vierzehntägige Moratorium, in: Kleine Zeitung, 4.8.1914, 4.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453