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Andrang auf die Geldinstitute | 271
den. Das Geschäft muß Ihnen vorläufig stunden.“98 Am Ende garantierten meh-
rere staatliche Institutionen (Statthalterei, Regierung, Ministerien) die Liquidität
der Geldinstitute.99 Ferner versuchten die Banken und Sparkassen die Menschen
zu beruhigen (Steiermärkische Sparkasse, Allgemeine Spar- und Konsumverein,
Postsparkasse).100 Das Gros der täglichen Sicherheitsgarantien stammte aber von
den Redaktionen selbst. Zuweilen druckten sie diese sogar mehrmals auf ein und
derselben Zeitungsseite.101 Der einmal wöchentlich erscheinende Sonntagsbote,
das Organ des katholischen Bauernvereins, brachte in seiner Ausgabe von Anfang
August nicht weniger als drei Artikel, die sich um eine Beruhigung der Bevölke-
rung bemühten.102 Selbst als der Andrang vorüber war, rissen die standardisierten
Beschwichtigungs- und Garantieartikel vorsichtshalber nicht gänzlich ab. Erwäh-
nenswert scheint mir hier Peter Roseggers Stellungnahme zu den „guten alten“
Geldinstituten zu sein, zumal sein konservatives Wort von vielen Steirern und Stei-
rerinnen sehr geschätzt wurde:
„Einem Freund, der bei Ausbruch des Krieges sein Geld aus der Sparkasse ziehen wollte,
um es in ‚Sicherheit‘ zu bringen, schrieb ich: ‚In Sicherheit? Wohin denn? Kannst du es
denn gleich auf Grund und Boden anlegen, oder in feste Eisenkassen verwahren, wie es
die Sparkasse tut? Sorge dich lieber um was anderes als darum, die Sache könnte in der
Sparkasse nicht sicher sein. Diese Angst ist töricht. Wo soll das Geld denn überhaupt
sicherer sein als in der Sparkasse! [...] Also nicht herausziehen jetzt den Sparpfenning
aus der Sparkasse, sondern so viel als möglich hineinlegen.‘“103
In der Mehrzahl der Fälle beinhalteten die Sicherheitsgarantien keine Begrün-
dung, warum die Geldinstitute sicher sein sollten. Das Totschlagargument, dass
die Geldinstitute eben sicher sind, weil sie eben sicher sind, dominierte in der
Presse. Einige Male schrieben die Redaktionen auch, dass ein lang anhaltender
98 Briefkasten der Redaktion, in: Arbeiterwille, 13.9.1914, 9.
99 Zwei Beispiele: Wo ist das Geld am sichersten?, in: Deutsche Zeitung, 2.8.1914, 7; Die Regierung
über die grundlose Angst der Spareinleger, in: Arbeiterwille, 4.8.1914, 4.
100 Zwei Beispiele: Der Grazer Konsumverein und die Kriegsvorbereitungen, in: Arbeiterwille,
27.7.1914 (Abendausgabe), 3; Von der Postsparkasse, in: Arbeiterwille, 5.8.1914, 2.
101 Siehe die beiden Artikel „Beruhigung des Publikums wegen der Sparkassengelder“ und „Der
Kleingeldrummel“, in: Kleine Zeitung, 9.8.1914, 4.
102 Siehe die drei Artikel „Keine Gefahr für die Sparanlagen!“, „Wie ist das Geld der Sparkassen ver-
wahrt?“ und „Sind die Raiffeisenkassen sicher?“, in: Sonntagsbote, 2.8.1914, 9.
103 Heimgärtners Tagebuch, in: Heimgarten (1914), Nr. 12, 940.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453