Page - 277 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Ausstattungsfrage und Postämter | 277
sum in den ersten Kriegsmonaten stieg.141 Dieser Umstand verstärkte (zumindest)
im ersten Kriegsjahr die Öffentlichkeitsarbeit der katholischen und der sozialde-
mokratischen Abstinenzbewegung.142 Der (sozialdemokratische) Arbeiter-Absti-
nentenbund verlautbarte zum Beispiel im Arbeiterwillen, dass sich die einrücken-
den Soldaten vor dem Alkohol und vor Geschlechtskrankheiten hüten sollten.143
Und auch das Katholische Kreuzbündnis, das seit 1913 das sogenannte Alkohol-
freie Speisehaus144 betrieb, annoncierte oft in den (katholischen) Zeitungen. Das
Volksblatt und die Kleine Zeitung warben nachvollziehbarerweise ebenso regel-
mäßig für das Alkoholfreie Speisehaus. Obendrein verköstigte das Speishaus Re-
servisten umsonst.145 Am Ende konnte es sogar steigende Gästezahlen verbu-
chen.146 Dennoch kann nicht übersehen werden, dass in Graz der Alkoholkonsum
stieg. Dieser Prozess setzte sich im weiteren Kriegsverlauf aber nicht fort.147 Einer
der Gründe hierfür war die Tatsache, dass das die Qualität des Biers zunehmend
schlechter wurde. Seit der Teilmobilisierung strömten zahllose Soldaten in die
Stadt, die in ihrer Freizeit nicht nur die Kinos und Freibäder aufsuchten148, son-
dern auch in ein Kaffeehaus oder in ein Gasthaus gingen. Dort, wo Alkohol ausge-
schenkt wurde, kam es mehrmals zu Streitereien und Schlägereien. An diesen Aus-
einandersetzungen beteiligten sich sowohl Soldaten als auch Zivilisten und
Zivilistinnen. Ferner kam es zu mehreren Ruhestörungen. Für die Presse waren die
(teils gewalttätigen) „Nachtschwärmer“149 ein Dorn im Auge, zumal sie die Auf-
141 Der Grazer Stadtrat verlegte aus diesem Grund die Sperrstunden zeitlich nach vorne, siehe das
Kapitel: Ausschreitungen.
142 Eine umfangreiche Studie zu den steirischen Abstinenzbewegungen liegt meiner Ansicht nach
noch nicht vor. Erste Forschungsfundamente legte: Farkas (2010). Die (in den Quellen aufschei-
nende) Grazer Ortsgruppe des Bunds abstinenter Frauen kenne ich nicht. Sie spendete, einem
Zeitungsartikel zufolge, anscheinend ihr ganzes Vereinsmögen von 300 Kronen dem Grazer
Frauenhilfskomitee, vgl. Die Ortsgruppe Graz des Bundes abstinenter Frauen, in: Grazer Volks-
blatt, 6.10.1914 (12-Uhr-Ausgabe), 4.
143 Zwei gefährliche Feinde der einrückenden Truppen, in: Arbeiterwille, 31.7.1914 (Abendaus-
gabe), 4.
144 1914 befand sich das Alkoholfreie Speisehaus bereits am Bischofsplatz.
145 Zwei Artikel hierzu: Unentgeltliche Reservistenausspeisung im alkoholfreien Speisehause, in:
Grazer Volksblatt, 31.7.1914 (Abendausgabe), 3; Vom alkoholfreien Speisehaus, in: Grazer Volks-
blatt, 4.8.1914, 6.
146 Farkas (2010), 554.
147 Eine Statistik bezüglich der steirischen Bier- und Branntweinproduktion in: Rumpler/Schmied-
Kowarzik (2014), 278 f.
148 Siehe das Kapitel: Verbliebene „Kriegsfreizeit“.
149 Vgl. den Begriff „Nachtschwärmer“ z.
B. in folgendem Artikel: Ein Opfer des Leichtsinns, in: Ar-
beiterwille, 14.12.1914 (Abendausgabe), 3. Des Weiteren verweise ich auf einen Artikel aus dem
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453