Page - 281 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Ausstattungsfrage und Postämter | 281
Kuverts der portofreien Feldpostbriefe steckten. In den betreffenden Unterlas-
sungsappellen ging die Presse stets davon aus, dass die Bevölkerung es nicht besser
wusste. Ein vorsätzliches Hintergehen staatlicher Direktiven wurde den Menschen
nicht unterstellt. Die Presse schrieb lediglich, dass „vielfach die irrige Ansicht
verbreitet“170 sei, dass man Esswaren versenden dürfe. Ob dem so war, kann ange-
zweifelt werden, zumal die Redaktionen nahezu täglich die Bestimmungen des
Feldpostverkehrs druckten. Die seit Ende Juli detaillierten Presseerklärungen zur
ordnungskonformen Aufgabe der Feldpost171 beinhalteten auch den Hinweis, dass
die Post (stichprobenartig) auf Verbotsübertretungen untersucht wird. So kolpor-
tierte zum Beispiel die Mittags-Zeitung, dass die wenngleich „zensuriert[e]“ Feld-
post trotz „allem Nachrichtenhunger in diesen Tagen [...] unstreitig die am sehn-
süchtigst erwarteten Boten“ sind.172 Aufgrund der langen Zustelldauer der Feldpost
gingen bereits im August viele Grazerinnen und Grazer auf die Post, um zu fragen,
ob die Feldpost auch tatsächlich ankam. Laut Dienstanweisung hätten viele der
Nachforschungen erst nach sechs Wochen von den Postbeamten eingeleitet wer-
den dürfen. Ungeachtet dessen leiteten viele Postangestellte bereits vor Ablauf der
Zuwartefrist entsprechende Nachforschungen in die Wege. Ende August appel-
lierte daher die k.
k.
Post- und Telegraphen-Direktion an die jeweiligen Postämter,
in Zukunft die Fristen einzuhalten.173 Vor den Postschaltern kam es hin und wie-
der zu Wortgefechten, die aber nie handgreiflich wurden. Etwaige Artikel, in de-
nen von Handgreiflichkeiten vor Postschaltern die Rede wäre, sucht man verge-
bens. Die Presse versuchte die Lage vor den Postschaltern zu entspannen, indem
sie weitere Erklärungen druckte. So konnten zum Beispiel Briefe nach Galizien
und in die Bukowina nach wie vor verschlossen aufgegeben werden.174 Umgekehrt
mussten sie jedoch offen gelassen werden. Allem Anschein nach haben diese Hil-
festellungen (wie: ohne „Feldpostnummer keine Zustellung“175) nur wenig gehol-
fen. Erstens stieg die Zahl der Feldpostsendungen enorm an. Zweitens war seit
8. November 1914 der Privatfeldpostverkehr in Graz nur mehr auf fünf Postäm-
tern möglich.176 Und drittens kamen viele der Feldpostsendungen erst gar nicht an,
170 Feldpostsendungen mit Schokolade u. dgl., in: Grazer Tagblatt, 11.11.1914 (2.
Morgenausgabe), 2.
171 Organisierung der Feldpost, in: Grazer Volksblatt, 28.7.1914, 5; Die Feldpost, in: Grazer Vororte-
zeitung, 9.8.1914, 5.
172 Feldpostkarten, in: Grazer Mittags-Zeitung, 20.8.1914, 4.
173 Nachforschung über Feldpostsendungen, Kundmachung vom 30.8.1914, in: Amts-Blatt der
k. k. Post- und Telegraphen-Direktion für Steiermark (12.9.1914), 128.
174 Briefverkehr nach und von Galizien und der Bukowina, in: Arbeiterwille, 31.8.1914 (Abendaus-
gabe), 4.
175 Ohne Feldpostnummer keine Zustellung, in: Grazer Mittags-Zeitung, 4.9.1914, 3.
176 Einschränkung des Feldpostverkehres, in: Grazer Tagblatt, 7.11.1914 (2. Morgenausgabe), 16.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453