Page - 292 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen292
durchaus jeder Berechtigung, da die Versorgung der Bevölkerung mit Mehl durchaus
gewährleistet erscheint und auch eine weitere Preissteigerung für Mehl nicht Platz grei-
fen wird.“241
Die Hamsterkäufe im Grazer Konsum- und Sparverein (und in der eigenen Ver-
einsbäckerei) dauerten ein wenig länger als die Hamsterkäufe in den restlichen Ge-
schäften. Nach dem großen Truppenabmarsch aus Graz (11. August) entspannte
sich aber auch dort die Lage wieder. In der betreffenden Aussendung von Mitte
August hieß es dazu: „Geehrte Mitglieder! Langsam löst sich die Verwirrung und
Beängstigung der letzten Tage. Mit dem Abtransport der Truppen an die Kriegs-
schauplätze kehrt das normale Geschäftsleben, wenn auch mit mannigfaltigen Stö-
rungen, wieder zurück.“242
Die Hamsterkäufe verliefen in weitaus weniger geordneten Bahnen als der An-
drang auf die Geldinstitute. Größere Ausschreitungen, wie Plünderungen oder
Ähnliches, kamen im ersten Kriegsjahr aber nicht zustande. Dass man sich in War-
teschlangen grundsätzlich politisierte, steht außer Frage. Letztendlich beherrschte
ein Gemisch aus Ärger, Missgunst und Unverständnis die Szenerie vor den Ge-
schäftsläden. Hinzu kam noch, dass die Warteschlangen entweder dem Regen
(Juli) oder einer extremen Hitze (August) ausgesetzt waren.243 Manchmal kam es
zu Handgreiflichkeiten, die zu Anzeigen führten. Angezeigt wurde unter anderem
eine Frau, weil sie in der Eggenberger Allee auf offener Straße Äpfel „viel zu teuer“
verkaufte.244 In den ersten Kriegsmonaten war es enorm wichtig, wie man in der
Öffentlichkeit über den Mitmenschen, den Krieg, den Staat, die Regierung, den
Kaiser und über die Einheitsbildung redete.245 Dabei war es allem Anschein nach
völlig egal, ob man sich gerade in der Straßenbahn, im Volksgarten, auf dem Haupt-
platz, auf den Märkten oder in Geschäften aufhielt. Überall konnten richtig oder
falsch verstandene Aussagen zum Problem für die eigene Sicherheit werden. Dies
sei an einem Zwischenfall, der sich Mitte August am Grazer Jakominiplatz ereignet
hatte, dargestellt. Dort zerstörte man einer Marktfrau aus Liebenau ihren Stand
und ihre Waren, da sie einen (angeblich schlafenden) Wachposten angezeigt hätte:
„Die erbitterten Demonstranten ließen sich weder von dem Manne [... der Markt-
frau] noch vom vorbei geeilten Wachmann in ihrer Arbeit stören. Erst als letzterer
241 Eine Mahnung an die einkaufenden Frauen, in: Arbeiterwille, 4.1.1915 (Abendausgabe), 3.
242 Der Grazer Konsumverein an seine Mitglieder, in: Arbeiterwille, 15.8.1914, 8.
243 Abseits der leicht verregneten Kaiserfeiern herrschte im August eine extreme Hitze, siehe das
Kapitel: Soldaten abseits der Truppe.
244 Eggenberg. (Teure Aepfel.), in: Grazer Vorortezeitung, 22.11.1914, 2.
245 Cronier (2007), 97.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453