Page - 293 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Hamsterkäufe | 293
mit seiner Waffe Ordnung machte, zog sich die Menge unter Schmährufen auf die
Angeberin zurück.“246 Am folgenden Tag „mußte der Stand der Denunziantin von
der ohnehin angestrengten Sicherheitsbehörde beschützt werden, um neuerliche
Angriffe zu verhindern.“247 In Wirklichkeit hatte die Frau aber gar keinen Wach-
posten angezeigt. Einem weiteren Artikel des (zuvor gegen die Frau parteiergrei-
fenden) Arbeiterwillen zufolge, habe die Frau nämlich nur im schlechten Deutsch
einigen Leuten am Markt erzählt, dass ihr Mann „verdächtige“248 Momente einem
Wachtposten mitteilte. Ihre falsch verstandene Aussage führt jedoch dazu, dass
sie angegriffen wurde. Und diese Gewalt richtete sich eben nicht gegen den Zaren
oder den britischen König (und Kaiser). Im Gegenteil. Sie richtete sich gegen eine
Grazerin. Gewaltaktionen wie diese durchziehen die Grazer Lokalnachrichten und
demonstrieren, dass es kein gesamtgesellschaftliches Erlebnis zu Kriegsbeginn gab.
Das legen auch jene zwei Vorfälle nahe, wo Grazer Gewerbetreibende aufgrund ih-
res „slawisch“ anmutenden Gewerbeschildes bedroht wurden.249 Demnach wurde
in den Juli- und Augusttagen genau darauf geachtet, wie man sich auf den Straßen
verhielt und wie man von anderen wahrgenommen wurde. Selbstredend setzte
sich das Bewachen einzelner Marktbänke und Geschäfte im weiteren Kriegsverlauf
fort. Die Grazer Ortsgruppe der Reichsorganisation der Hausfrauen Österreichs
(ROHÖ)250 rief beispielsweise im Februar 1915 – in Anlehnung an den Schweine-
boykott der Wiener Ortsgruppe – zum vierzehntägigen Schweineboykott in Graz
(Februar/März 1915) auf. Dem weitgehend von Frauen getragenen Boykott war
Erfolg beschieden, zumal sich die deutschnationalen251 Tageszeitungen und der
Arbeiterwille252 hinter den Boykott stellten. Lediglich die katholischen Zeitungen
stellten mit vorsichtig gewählten Worten die Ziele und Erfolgsaussichten des Boy-
kotts in Abrede.253 Anscheinend trauten sich einige der Fleischhauer und Selcher
246 Folgen des Denunziantentums, in: Arbeiterwille, 14.8.1914, 4. Vgl. ein wenig abweichend: Ein
Zwischenfall am Jakominiplatz, in: Grazer Tagblatt, 13.8.1914 (Abendausgabe), 5.
247 Folgen des Denunziantentums, in: Arbeiterwille, 14.8.1914, 4.
248 Folgen des Denunziantentums, in: Arbeiterwille, 14.8.1914 (Abendausgabe), 3.
249 Siehe das Kapitel: Demonstrationen vor Geschäften.
250 Zur ROHÖ siehe das Kapitel: Modeboykott.
251 Vier Beispiele: Die Bewegung gegen das Schweinefleisch, in: Grazer Tagblatt, 19.2.1915 (Abend-
ausgabe), 3; Bewegung unter den Hausfrauen wegen der Teuerung des Schweinefleisches, in:
Grazer Mittags-Zeitung, 19.2.1915, 3; Der Boykott des Schweinefleisches, in: Grazer Mittags-
Zeitung, 22.2.1915, 3; Wucherische Händler, in: Grazer Mittags-Zeitung, 24.2.1915, 3.
252 Zwei Beispiele: Was wird gegen die Preistreiberei geschehen?, in: Arbeiterwille, 26.2.1915, 7; Der
Boykott gegen das Schweinefleisch, in: Arbeiterwille, 27.2.1915 (Abendausgabe), 2.
253 Vgl. z. B. Zu den Demonstrationen auf unseren Marktplätzen, in: Grazer Volksblatt, 23.2.1915
(12-Uhr-Ausgabe), 3.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453