Page - 309 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Kirchen und Friedhöfe | 309
Ausnahme dar. In der Regel unterstützte die katholische Kirche den Staat durch
ihre Kriegspredigten, Kriegsseelsorge, Kriegsfürsorge und ihre Werbung für die
Kriegsanleihen, wo sie nur konnte. Eine nachhaltige Verschlechterung zwischen
der Kirche und dem Staat erfolgte erst im Laufe des Kriegs. Sie begann mit der
Aufhebung der Sonntagsruhe, was von der Kirche zwar stets abgelehnt, aber letz-
ten Endes doch missmutig akzeptiert werden musste. Dieses Konfliktfeld endete
1915, da die (unproduktive und teure) Sonntagsarbeit wieder aufgegeben wurde.
Die Kirchenleitung zeigte sich ebenso gegenüber der Einführung der Sommerzeit
(1916) irritiert. Spürbaren Unmut erweckte auch das Abgeben und Einschmelzen
von Kirchenglocken.
In den ersten Kriegsmonaten gerieten die beiden für das Kronland Steiermark
zuständigen Diözesen in einen Konflikt.321 Genauer gesagt waren es einzelne Teile
der Diözesen. Die Streitigkeiten, an der sich die großen Grazer Tageszeitungen
beteiligten, waren Teil des steirischen Nationalitätenkonflikts. Im Wesentlichen
drehte sich die Auseinandersetzung um die Frage, wie sehr man den slowenischen
Pfarrern der „Untersteiermark“ trauen könne. Weitläufig herrschte die Annahme
vor, dass sich unter den slowenischen Geistlichen der Nachbardiözese Lavant viele
„Serbenfreunde“ befänden. Am 9. August 1914 distanzierte sich beispielsweise
der Rechtsschutzverein der Grazer Diözese in einer öffentlichen Stellungnahme322
aufs Schärfste von diesen als „Vaterlandsverräter“ abgestempelten Priestern. Die
genauen Hintergründe dieser (letztendlich haltlosen) Anschuldigungen prüfte der
Rechtsschutzverein der Grazer Diözese nicht. Die deutschnationale Presse griff
diese Presseaussendung auf und nährte mit zahlreichen weiteren Artikeln den
Irrglauben, dass die „Slowenen“ – und hier speziell die Speerspitzen der slowe-
nischen Nationalbewegung (Pfarrer, Lehrkörper, Studierende, Vereine, Zeitungen
und Gasthäuser) – allesamt staatsuntreue „Serbenfreunde“ seien. Nicht selten
las man daher im August Artikel mit Schlagzeilen wie „Verhaftung vieler slowe-
nischer Geistlicher des steirischen Unterlandes“, „Sturm gegen die slowenischen
Hetzer in Pettau“ oder „Die deutschen Geistlichen rücken von den untersteiri-
schen ‚Hetzern im Priesterkleide‘ ab“.323 Zudem attackierten die deutschnationalen
321 Die folgenden Ausführungen über den steirischen Diözesen-Konflikt fußen – wenn nicht anders
angegeben – auf: Moll (2007a), 305 f.
322 Erklärung, in: Grazer Volksblatt, 9.8.1914, 4.
323 Verhaftung vieler slowenischer Geistlicher des steirischen Unterlandes, in: Grazer Tagblatt,
7.8.1914 (Abendausgabe), 3; Sturm gegen die slowenischen Hetzer in Pettau, in: Grazer Tagblatt,
4.8.1914, 4; Die deutschen Geistlichen rücken von den untersteirischen „Hetzern im Priester-
kleide“ ab, in: Grazer Tagblatt, 10.8.1914 (Abendausgabe), 3.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453