Page - 321 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Verlustlisten | 321
ob die Spareinlagen sicher seien, waren die Antworten bezüglich des Verbleibs
eines Soldaten kurz und bündig gestaltet. Und auch aus diesen Antworten lassen
sich unter Vorbehalt die dahinterstehenden und wohl vorrangig von Frauen und
Eltern gestellten Fragen erkennen:
• „Es kommen auch die Vermißten in die Verlustlisten. Die letzten Verlustlisten
brachten bereits eine Reihe von Angehörigen des 3. Korps. Eigene Verlustlisten
über die einzelnen Korps erscheinen nicht.“
• „Unter den bisher veröffentlichten Verlustlisten befinden sich diese Namen nicht.“
• „Uns nichts bekannt, in den Verlustlisten nicht enthalten.“
• „Ist in Rußland gefallen.“
• „Der Name ist bisher noch in keiner Verlustliste enthalten.“
• „Hans Gruber ist in der Verlustliste nicht enthalten.“379
Daneben schalteten einige Frauen Annoncen, in denen sie um Hilfe bei der Auf-
klärung hinsichtlich des Verbleibs eines bestimmten Soldaten baten. In einer dieser
Annoncen schilderte zum Beispiel eine Frau aus Klagenfurt, dass sie eine Feldpost-
karte erhalten habe, in der zu lesen war, dass ihr Mann den „Heldentod“ gestorben
sei.380 Wenngleich dies damals definitiv nicht die offizielle Benachrichtigungspro-
zedur im Falle eines Soldatentods war, war die Frau verständlicherweise in Angst
und Sorge. Die Frau konsultierte – nach Eigenaussage – daraufhin alle zuständigen
Amtsstellen, die trotz weiterer Nachforschungen keine zufriedenstellende Antwort
auf die Frage, ob ihr Mann tot sei oder nicht, geben konnten. Aus diesem Grund
schaltete „die verzweifelte Gattin“381 aus Kärnten eine Annonce im Tagblatt, in der
sie sich an alle Verwundeten wandte (in der Hoffnung, dass diese Näheres von
ihrem Mann wissen würden). Die Bittannonce endete mit dem Satz: „Alle eventu-
ellen Kosten werden selbstverständlich vergütet.“
Besonders schmerzhaft erwies es sich für diejenigen, die bereits erfahren hat-
ten, dass der Soldat nicht in „steirischer Erde“ begraben wurde. Die Vorstellung,
dass der „Leichnam“ irgendwo fern der eigenen „Heimat“ liege, belastete sehr.
Erstens wirkte die Vorstellung leidvoll, weil der tote Körper nicht in „steirischer
379 Zitate aus: Briefkasten der Schriftleitung, in: Grazer Tagblatt, 16.9.1914 (2. Morgenausgabe), 5;
Briefkasten der Schriftleitung, in: Grazer Tagblatt, 15.10.1914 (2. Morgenausgabe), 4; Briefkas-
ten der Redaktion, in: Arbeiterwille, 10.9.1914, 6; Briefkasten der Redaktion, in: Arbeiterwille,
25.9.1914, 6; Briefkasten der Redaktion, in: Arbeiterwille, 30.9.1914, 6; Briefkasten der Redak-
tion, in: Arbeiterwille, 14.10.1914, 6.
380 Aufforderung [Annonce], in: Grazer Tagblatt, 20.11.1914 (2. Morgenausgabe), 5.
381 Ebd.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453