Page - 329 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Infiltrierendes „Spinnennetz“ | 329
Dienst verrichtete, sogar mehrere Warnschüsse ab, weil sich mehrere Personen in
unmittelbarer Nähe des Wasserwerks verdächtig verhielten.415 Im Oktober 1914
wurde dann tatsächlich der Fischteich eines Gasthauses in St.
Peter nahe Graz ver-
giftet. Wer nun genau die Fische vergiftet hatte, blieb für die Presse unklar.416 Dass
es Spione sein könnten, schloss sie aber aus. Die Angst vor einer Vergiftung des
Trinkwassers rief bei manchen Menschen vielleicht die zweite Maiwoche des Jahrs
1907 in Erinnerung. Damals war es in Graz, das im Vergleich zu vielen anderen
Städten der Monarchie ein schlechtes Wasserleitungs- und Kanalsystem hatte, zu
einer bedrohlichen Verunreinigung des Trinkwassers gekommen.417 Viele öffent-
liche Brunnenanlagen mussten gesperrt werden. Trotzdem kam es zu zahlreichen
Darmerkrankungen unter der Grazer Bevölkerung. Eine Folge dieser zweiten Mai-
woche war, dass man die Wasserförderung aus den Brunnen am Schwimmschulkai
einstellte. Das verbesserte die Funktionalität der Wasserversorgung bzw. die Qua-
lität des Wassers nur bedingt. Im vorletzten Kriegsjahr verlor die Stadt nämlich
nach wie vor infolge ihrer schlechten Wasserleitungen rund 25 Prozent (so eine
Schätzung) der geförderten Wassermenge.418 Wie sehr man sich zu Kriegsbeginn
um die Qualität des Wassers sorgte, belegen auch die zahllosen Ratschläge und
Vortragseinladungen der Presse, wie man sich am besten vor Krankheiten bzw.
Infektionen und Epidemien schützen kann.419 Ferner brachten die Redaktionen
die Dementis deutscher Zeitungen und Nachrichtenagenturen.420 Zugleich ver-
unsicherten wohl jene Artikel, denen zufolge Grazer und Grazerinnen vergiftet
wurden. Ich meine hier nicht die Artikel, die eine Überdosis (Opium usw.) thema-
tisierten, sondern jene Fälle, wo Menschen von anderen „vergiftet“ wurden. Ob es
derartige Fälle wirklich gab, lässt sich nicht mit Hilfe der Presse klären. In einem
dieser Fälle hieß es aber zum Beispiel, dass ein Soldat von einer unbekannten Frau
Zigaretten geschenkt bekommen habe. Die Rauchwaren habe der Soldat einige
Zeit später geraucht, „wodurch ihm sehr übel“ wurde.421 Die Zigaretten waren – so
der Artikel im Volksblatt – „mit Pulver“ versehen. Was man sich hier unter einem
„Pulver“ vorzustellen habe, bleibt ungewiss. Auf jeden Fall leitete die Wache die
415 Siehe das Kapitel: Neue Wachposten.
416 St. Peter. (Fische vergiftet.), in: Grazer Vorortezeitung, 1.11.1914, 2.
417 Zur Verunreinigung des Grazer Trinkwassers im Mai 1907 siehe: Varetza (1980), 169
f., 199–217.
418 Ebd.
419 Hier zwei Beispiele aus der Mittags-Zeitung: Ueber die Cholera, in: Grazer Mittags-Zeitung,
8.10.1914, 4; Zehn Gebote bei Seuchengefahr, in: Grazer Mittags-Zeitung, 9.10.1914, 4.
420 Vgl. z. B. Lügen über die versuchte Vergiftung eines Brunnens in Metz mit Cholerabazillen, in:
Arbeiterwille, 6.8.1914, 1.
421 Kein erfreuliches Geschenk, in: Grazer Volksblatt, 6.10.1914 (12-Uhr-Ausgabe), 3.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453