Page - 339 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Ausschreitungen | 339
reits blutig geschlagenen Häftlinge“. Ebenso schrie man dem Artikel zufolge:
„Haut’ sie nieder, die Hunde!“ Wenige Tage später, am 8. August vormittags, wur-
den neun verhaftete slowenische Pfarrer am Hauptbahnhof „gelyncht“. Unmittel-
bar nach ihrer Ankunft bildete sich eine Menschenmenge, die auf die Priester los-
ging. Die für ihre Überstellung ins Garnisonsgericht verantwortliche Militäreskorte
konnte, selbst mit der Unterstützung weiterer Männer der Wache, die verhafteten
Geistlichen nicht hinreichend beschützen. In einem Artikel des radikal deutschna-
tionalen Tagblatts hieß es dazu: „Obwohl sofort eine große Zahl von Soldaten und
Sicherheitswachmännern einen Ring um die Verhafteten bildeten, konnten diese
vor Tätlichkeiten doch nicht geschützt werden.“470 Schließlich war die „Wut der
Menge [...] mit so elementarer Gewalt ausgebrochen, daß die Verhafteten noch in
den Wagen, in die man sie brachte, bespuckt und geschlagen wurden.“471 Mehr
oder minder gleich verlief die „Lynchaktion“ am Abend des 13. August. Wieder
kamen am Hauptbahnhof verhaftete „Serbenfreunde“ an und wieder wurden sie
von einer Menschenmenge angeschrien, bespuckt, getreten und geschlagen. Unter
den Verhafteten befanden sich weitgehend Lehrerinnen und Lehrer sowie ein Pfar-
rer aus der „Untersteiermark“. Die anwesende Bevölkerung stieß „lebhafte Pfuirufe
aus und im Nu waren die Verhafteten umringt.“472 Im weiteren Verlauf konnten die
„zahlreich aufgebotene Wache und die Soldaten [...] nicht verhindern, daß die ser-
benfreundliche Gesellschaft tüchtig verprügelt wurde.“ Insbesondere der Priester
wurde „von der erregten Menge angespien und am ganzen Körper mit Stöcken
geschlagen.“ Die Verhafteten wurden dann mittels vier Fiakerwagen durch die An-
nenstraße bis hin zum Garnisonsgericht gebracht. Die Stockhiebe und Pfuirufe
setzten sich den gesamten Weg über fort. Beim Garnisonsgericht „gab es abermals
eine fürchterliche Schlägerei“ zwischen der Bevölkerung und den Verhafteten. Da-
bei ließen sich die „aufgeregten Leute“ auch nicht von den „Warnungen des dienst-
habenden Offiziers“ abhalten. Die „serbenfreundliche“ Gruppe wurde einige Zeit
später ins Landesgericht überstellt. Auf dem Weg dorthin wiederholten sich die
Attacken.
Die Gewalt auf den Straßen führte zu mehreren Schreiben des k.
k.
Innenminis-
ters Karl Heinold von Udyński an den steirischen Statthalter. In einem dieser Sch-
reiben forderte der Minister den Statthalter dazu auf, „die nationale Hetze“ mit al-
470 Einlieferung der verhafteten slowenischen Geistlichen, in: Grazer Tagblatt, 8.8.1914 (Abendaus-
gabe), 5.
471 Ebd.
472 Das Zitat und die folgenden Sätze stützen sich auf: Stürmische Szenen bei der Einlieferung von
Serbenfreunden, in: Grazer Tagblatt, 14.8.1914, 12.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453