Page - 344 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen344
nügt schon ein serbisch klingender Name, um sich einer Meute auszusetzen, die ir-
gend ein übelwollender Mensch ohne jeden Grund hetzt und leitet.“ Im Endeffekt
sahen sich mehrere Grazerinnen und Grazer dazu gezwungen, die ihnen vorge-
worfenen Anschuldigungen per Annonce zu entkräften. Ein derartiges Klarstellen
und Dementieren von Beschuldigungen unternahmen auch Personen aus anderen
Regionen der Monarchie. Die Dementis bezogen sich nicht nur auf unterstellte Il-
loyalität und/oder „Serbenfreundschaft“, sondern auf vieles mehr. Der Kapellmeis-
ter des Grazer Bürgerkorps dementierte zum Beispiel öffentlich das Gerücht, dass
das Korps (angeblich) Geld für das Begleiten der Soldaten verlange.499 Im August
entkräftete Ferdinand Bockenhuber, Leiter des fürstbischöflichen „Knabensemi-
nars“, das Gerücht, er habe sich geweigert, dem Militär diverse Schulräume zur
Verfügung zu stellen.500 Ferner sah sich ein polnischer Grazer Mitte September
1914 dazu gezwungen, im Tagblatt zu verlautbaren, dass man „nicht gleich jede
Slawisch sprechende Person als Serben oder gar als Russen“ verdächtigen sollte,
„insbesondere nicht [die] Polen, die mit ihren slawischen Stämmen absolut nichts
gemeinsam haben, auch, weil sie aufrichtige österreichische Patrioten sind.“501 Zu
dieser Erklärung an das „hiesige deutsche Publikum“ sah er sich veranlasst, da
seine Familie „von Passanten, z. B. im Stadtpark, auf der Straße, scheel angesehen“
wurde. Dem sei nur deswegen so, „weil eben die Passanten nicht wissen können,
daß die [... Familienmitglieder] als Polen Polnisch sprechen.“ Man möge daher
ihm, seiner Familie und den anderen „hier ständig ansässige[n] Polen“ kein Miss-
trauen mehr entgegenbringen. Allerdings – so die Erklärung – dürfe man vor al-
lem gegenüber scheelschauenden Frauen „nicht [weiter] scharf sein“, sofern sie da-
mit aufhören würden: „Irren ist zwar menschlich, aber durch Irrtum entstehen oft
große Unannehmlichkeiten. Dank für Inschutznahme!“502 Diese vorsichtige Wort-
wahl deutet meiner Meinung nach auf eine Person, die auf keinen Fall das ohnehin
„angeheizte“ nationale Spannungsgefüge weiter verschärfen wollte. In den obigen
Fällen (Lazic, Golubovitz, Wujkovic, Mokos) ging es um Menschen, die aus Sicht
der Presse keine „Verräter“, „serbenfreundlich“ und/oder „serbisch“ waren. Es wa-
ren aber Menschen, die aus Sicht der Passanten und Passantinnen „serbenfreund-
lich“ oder „serbisch“ waren. Gegen diesen Umstand trat die Presse entschieden auf.
Ihre publizistischen Unterlassungsappelle trafen aber auf taube Ohren, zumal die
499 Die Musikkapelle des k. k. priv. Grazer Bürgerkorps, in: Grazer Volksblatt, 20.8.1914 (12-Uhr-
Ausgabe), 7.
500 Vgl. seine von behördlicher Seite gegengezeichnete Richtigstellung mit der Schlagzeile: Freche
Verleumdung einer geistlichen Anstalt, in: Grazer Volksblatt, 20.8.1914, 4.
501 Der Abriss über die Polen fußt auf: Aus Grazer Polenkreisen, in: Grazer Tagblatt, 15.9.1914, 3.
502 Ebd.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453