Page - 348 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen348
sprache (z. B. Bataillon, Kompagnie, Artillerie, Infanterie, Patrouille, Rencontre)
letztendlich nicht „eindeutschte“ (nicht „eindeutschen“ konnte). Desgleichen blieb
der „Ingenieur“ sowohl in den Artikeln als auch im Annoncenteil „Ingenieur“. Das
„Eindeutschen“ wäre obendrein mit einem enormen Aufwand verbunden gewe-
sen, der sicherlich noch mehr Verwirrung und Unsicherheit innerhalb der Bevöl-
kerung hervorgerufen hätte. Denn wenn man sich vorstellt, wie viel Unklarheiten
und Verständnisprobleme bereits die traditionelle Militärsprache auf den Mobili-
sierungsplakaten mit sich brachte, erscheint es aus meiner Sicht nur logisch, dass
keine der bürgerlichen Redaktionen nur ansatzweise ihre „Sprachbereinigungs-
Doktrin“ in puncto Militärsprache konsequent verfolgte.
Bereits die Tatsache, dass sie – sowohl vor als auch während des Kriegs – die
„Entente“ (bzw. „Triple-Entente“ und „Entente cordiale“) mehrmals mit „Dreiver-
band“ (oder „Dreiverbandmächte“) umschrieb, konnte zu Verständnisproblemen
führen.512 Sieht man einmal davon ab, dass die „Triple-Entente“ von den Grazer
Zeitungen oft mit der „Entente cordiale“ gleichgesetzt wurde, barg der Begriff
„Dreiverband“ große Ähnlichkeit mit dem Wort „Dreibund“. Was nun unter „Drei-
verband“ (oder „Dreiverbandmächte“) gemeint war, erschloss sich einem nur,
wenn der Artikel dieses Bündnis präzisierte (was nicht immer der Fall war) oder
wenn sich der Leser oder die Leserin einigermaßen gut in der Bündnispolitik (in
Afrika, in Asien) auskannte.513 Durch die italienische Neutralitätserklärung (und
das Wegfallen des dritten „Dreibundpartners“) wurden die Begriffe „Dreibund“
und „Dreiverband“ nicht sonderlich klarer. Das galt vor allem für jene Stellen, wo
man über die außereuropäischen Kriegsschauplätze schrieb. Dem war so, weil die
(gesamte) Grazer Presse nach der italienischen Neutralitätserklärung den Begriff
„Dreibund“ weiterhin gebrauchte, aber darunter Unterschiedliches verstand. Prin-
zipiell verstand man unter dem „Dreibund“ das Bündnis zwischen Deutschland,
Österreich-Ungarn und Italien.514 Daran änderte sogar der italienische Neutrali-
tätsentscheid nichts, zumal die Presse fest damit rechnete, dass Italien nicht auf der
Seite Frankreichs, Russlands und Großbritanniens in den Krieg eintreten werde.
512 Diese Bündnis-Namen finden sich u. a. in: Uebergreifen des Krieges auf Amerika, Asien und
Afrika?, in: Grazer Tagblatt, 8.8.1914 (Abendausgabe), 3; Die „Goeben“ und die „Breslau“ von
der türkischen Regierung käuflich erworben?, in: Grazer Tagblatt, 20.8.1914, 1; Englische Urteile
über Englands Hinterlist, in: Grazer Mittags-Zeitung, 12.10.1914, 1; Der Dreiverband auf der
Suche nach Bundesgenossen, in: Grazer Tagblatt, 3.11.1914 (2.
Morgenausgabe), 13; China gegen
die Dreiverbandmächte und Japan, in: Grazer Tagblatt, 17.9.1914 (Abendausgabe), 4.
513 Vgl. z. B. Japan und der Weltkrieg, in: Grazer Volksblatt, 12.8.1914, 3.
514 Im Zeichen der Lokalisierungsversuche, in: Grazer Tagblatt, 28.7.1914, 3. Zudem verstand man
in diesem Artikel unter dem „Dreiverband“ (!) das Bündnis zwischen Frankreich, Großbritan-
nien und Russland.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453