Page - 361 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Modeboykott | 361
• „Wenn ich [Peter Rosegger] in den Straßen der Stadt durch die Spiegelscheiben
sehe, daß die Kaffeehäuser stets den ganzen Nachmittag voll schöner, fein aufge-
putzter Damen sind, die Zigaretten rauchen und flirten und nebenbei hochpatrio-
tische Gespräche führen, da wird mir warm hinterm Brustfleck und es regt sich ein
heißer Wunsch, ein süßes Verlangen: Wenn wir ein Damenkorps hätten, um die
holden Nichtstuerinnen gegen die Russen zu beschäftigen! Es ist ja zu bescheiden
von diesen Damen, die sich so tapfer alle Männerrechte und Sitten vorwegs aneig-
nen, daß sie just auf das größte und schönste Mannesrecht so willig verzichten. Sie
müßten doch die prächtigsten Soldaten sein, denn vor Weibern solcher Art laufen
alle Männer davon.“579
• „Aber in diesem Alpentale ist es ruhig geworden. Gestern sind die letzten [Solda-
ten] fort. Nichts erinnert an den Krieg als die Zeitungen und die Weiber, die um
einen Stuhl raufen, auf dem einmal ein Mannsbild gesessen.“580
An diesen zwei Textstellen – die als weitere Manifestation von Peter Roseggers
Frauenbild herangezogen werden können581 – zeigen sich deutlich jene Kritik-
punkte bzw. Anschuldigungen, die sich auch in den anderen Grazer Publikati-
onsorganen finden ließen. Ihnen zufolge verhielten sich einige Frauen in der Öf-
fentlichkeit unangemessen bzw. „unsittlich“. Nicht nur, dass sie rauchten, nein, sie
„tratschten“ oder stritten sich obendrein in einer Zeit, in der der Mann „im Kriege“
war. Dieses Verhalten sei unangebracht, bedauerlich und nicht zuletzt zynisch, weil
Frauen stets die gleichen Rechte fordern würden, aber nicht dazu bereit wären,
die gleichen „Pflichten“ zu erfüllen. So stand es zumindest in den entsprechenden
Artikeln, die einen harmonischen „Burgfrieden der Geschlechter“ verunmöglich-
ten. Mit „Pflichten“ meinten die Redaktionen unverkennbar das Kämpfen an der
Front. Da Frauen nicht die volle „Härte“ des Kriegs zu spüren bekämen, müssen
sie sich vielen Artikeln zufolge ruhig verhalten und ihre Mutterrolle wahrnehmen.
Ferner sollten sie sich nicht in den Mittelpunkt stellen. Obendrein müssen sie end-
lich „sachlich“ werden. Des Weiteren dürfen sie für die Hausarbeit keinen Lohn
verlangen, zumal diese (mit Blick auf die traditionellen Geschlechterrollenvorstel-
lungen) aus „Liebe“ zu geschehen habe (siehe unten). Außerdem müssen sie den
Mann durch „Dienen“ und „Pflegen“ so gut wie möglich unterstützen. Kurzum:
Frauen wurden unentwegt ermahnt und animiert. Sie sollten, wie gesagt, nicht das
Geld abheben. Sie sollten keine Essensvorräte anlegen. Sie sollten sich für freiwil-
579 Heimgärtners Tagebuch, in: Heimgarten (1914), Nr. 2, 138.
580 Heimgärtners Tagebuch, in: Heimgarten (1914), Nr. 3, 212.
581 Zu Peter Roseggers Frauenbild: Kemmer (1993).
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453