Page - 367 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Soldaten abseits der Truppe | 367
den die Kritikpunkte von der Friedensbewegung.611 Konträr dazu umfasste die ös-
terreichische Sozialdemokratie keine großangelegte Kritik am „Wesen“ der
k.
u.
k.
Armee. Anzumerken gilt es jedoch, dass die sozialdemokratischen Frauen-
organisationen weitaus antimilitaristischer als die Männer waren.
Im ersten Kriegsjahr schufen die Zeitungen verschiedenartige Soldatenbilder. In
den Leitartikeln, in den Stimmungsbildern, in der Kriegslyrik oder in den Kriegs-
liedern kamen die Normvorgaben für den „heroischen“ Soldaten zum Einsatz
(„Ehre“, „Pflichterfüllung“, „Treue“, „Tapferkeit“, „Hilfsbereitschaft“, „Heimatliebe“,
„Kameradschaft“, „Ritterlichkeit“, „Enthaltsamkeit“, „Nüchternheit“). In den Lo-
kalteilen sowie an weiteren Stellen der Zeitungen brachte man jedoch andere Fa-
cetten des Soldatenseins zur Sprache. Aus meiner Sicht bieten diese Artikel einen
Einblick in die Art und Weise, wie das städtische Soldatenleben (im ersten Kriegs-
jahr) wahrgenommen wurde. Genauer gesagt finden sich fast täglich Artikel über
Soldaten, die sich fehlverhielten. Die Presse berief sich dabei mehrmals auf die
öffentlich einzusehenden Stellungnahmen der Sicherheitswache und der Polizei.612
Schenkt man diesen Berichten Glauben, kam es zu mehreren (von Soldaten began-
genen) Streitereien, Schlägereien, Überfällen, Diebstählen, Ruhestörungen sowie
zu Bajonett- und Messerattacken. Die Presse missbilligte diese Vorfälle, zumal sie
aus ihrer Sicht das Zusammenleben in der Stadt erschwerten und letztendlich die
Kriegsanstrengungen im Hinterland schwächten. Mit anderen Worten: die Lokal-
teile waren voll von Schlagzeilen, wie „Ein rabiater Soldat“, „Ein renitenter Soldat“,
„Ein rabiater Pionier“, „Ein rabiater Reservist“, „Ein hartnäckiger Exzedent“, „Al-
koholexzeß eines Soldaten“, „Von Reservisten geprügelt“, „Mit einem Bajonettstich
bezahlt“, „Durch einen Bajonettstich verletzt“, „Mit dem Bajonett erstochen“ oder
„Mit dem Bajonett gestochen“.613 Die auf der Straße begangenen Gewalttaten wur-
den in den ersten Kriegswochen nicht, wie so oft im Falle von häuslicher Gewalt,
611 Zu den Friedensbewegungen in Österreich-Ungarn: Kovács (2009), des Weiteren: Moll (2016).
612 Vgl. z. B. Ein aufregender Auftritt, in: Grazer Tagblatt, 20.10.1914 (Abendausgabe), 4.
613 Vgl. einige Schlagzeilen aus dem Arbeiterwillen: Ein rabiater Soldat, in: Arbeiterwille, 12.9.1914
(Abendausgabe), 4; Ein renitenter Soldat, in: Arbeiterwille, 7.11.1914 (Abendausgabe), 4; Ein
rabiater Pionier, in: Arbeiterwille, 30.11.1914 (Abendausgabe), 4; Ein rabiater Reservist, in: Ar-
beiterwille, 31.8.1914 (Abendausgabe), 4; Ein hartnäckiger Exzedent, in: Arbeiterwille, 4.12.1914
(Abendausgabe), 2; Alkoholexzeß eines Soldaten, in: Arbeiterwille, 15.11.1914, 3; Von Reservisten
geprügelt, in: Arbeiterwille, 3.8.1914 (Abendausgabe), 4; Mit einem Bajonettstich bezahlt, in: Ar-
beiterwille, 29.10.1914 (Abendausgabe), 3; Durch einen Bajonettstich verletzt, in: Arbeiterwille,
9.9.1914 (Abendausgabe), 3; Mit dem Bajonett erstochen, in: Arbeiterwille, 5.10.1914 (Abendaus-
gabe), 3; Mit dem Bajonett gestochen, in: Arbeiterwille, 31.10.1914 (Abendausgabe), 4.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453