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Neue Wachposten | 379
als Chance für eine Invasion nützen könnten.684 Solche Befürchtungen verließen
aus meiner Sicht aber nie die Akteninnenzirkulation der Behörden. Maßgebliche
Invasionsängste lassen sich innerhalb der Bevölkerung, wie erwähnt, nicht grei-
fen. Man hatte zwar erhebliche Angst vor der Infiltration („Spinnennetz“). Ebenso
hatte man Angst vor einer Infektion („Asiatische Cholera“). Aber „richtige“ In-
vasions- und Deportationsängste, wie man sie in Belgien oder in Nordfrankreich
verspürte, lassen sich für Graz nicht bestätigen. Unter den Privatpersonen, die die
Bildung eines Wehrkorps oder einer Bürgerwehr forderten, befand sich der Grazer
Rechtsanwalt Jakob Stolzer. Bereits Anfang August schlug er (erfolglos) den Be-
hörden die Schaffung eines Grazer Freiwilligenkorps vor.685 Auch Peter Rosegger
forderte einige Male die Bildung eines Wehrkorps. Begründet sah er sein Anlie-
gen darin, dass im Hinterland „viel[e] müßige Leute“ nur „trinken, rauchen, plau-
dern“ oder „Allotria“ treiben würden.686 Mit dieser Meinung stand er nicht allein
dar. Im Grunde genommen ist die Presse voll von Artikeln über Menschen, die
sich „unsittlich“ bzw. „unpatriotisch“ verhalten würden. Manche dieser Menschen
machten sich vor dem geltenden Gesetz schuldig, indem sie beispielsweise abfäl-
lig über Franz Ferdinand redeten, Spendengelder stahlen oder die Milch verwäs-
serten.687 Andere wiederum verhielten sich zwar gesetzeskonform, aber nicht den
„ungeschriebenen“ Privatansichten eines Dritten entsprechend. Die Schaffung von
Bürgerwehren wurde auch von den Bezirkshauptmannschaften angeregt. Diesbe-
züglich möchte ich auf die BH
Judenburg verweisen. Dort versuchte der Amtsleiter
seit Mitte August, die Bildung einer „Schutzwehr“ in die Wege zu leiten. Seinem
Bericht zufolge standen aber maßgebende „Faktoren in der Gemeinde [...] diesem
Unternehmen [...] nicht sympat[h]isch gegenüber und zeigten sich erst nach Er-
scheinen des Erlasses des k. k. Statthalterei-Präsidiums geneigt, auf [… seine] gut
gemeinten und von strenger Objektivität geleiteten Vorschläge einzugehen.“688 In
den Grazer „Vororten“ formierte sich zu Kriegsbeginn die 126 Mann starke Eggen-
684 Militärkommando Graz an Statthalterei-Präsidium, 24.8.1914, in: StLA, Statt. Präs. E91/2054/
1914. Vgl. auch: Moll (2000a), 51.
685 Kögler (2008), 9.
686 Heimgärtners Tagebuch, in: Heimgarten (1914), Nr. 1, 64.
687 Zu den Dieben und Betrügern, Männern wie Frauen, siehe das Kapitel: Diebstahl und Betrug.
688 BH Judenburg an Statthalterei-Präsidium, [Ende August 1914], in: StLA, Statt. Präs.
E91/2054/1914. Das Schreiben, das auf den 2. August datiert wurde, ist offensichtlich mit einem
falschen Datum versehen. Das Schreiben wurde am 3.
September von der Statthalterei zur Kennt-
nis genommen und es berichtet über Ereignisse von Ende August. Von einer absichtlichen Vor-
oder Rückdatierung ist nicht auszugehen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurde das Schreiben
Ende August verfasst.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453