Page - 383 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Neue Wachposten | 383
gen geht somit hervor, dass sich in den ersten Kriegsmonaten einige Wachposten
dazu gezwungen sahen, von ihrer Waffe Gebrauch zu machen, weil sie dachten,
dass sich ihnen jemand in böswilliger Absicht nähere. In Gleisdorf schoss bei-
spielsweise der Wachposten, der die Eisenbahnbrücke über die Rabnitz bewachte,
weil ein sich anschleichender Mann nicht stehenblieb.709 In anderen Fällen hinge-
gen kam es zwischen den Wachposten und den Zivilisten zu Streit. Einmal konnte
sich beispielsweise ein Grazer nicht ausweisen, weswegen er vom Wachposten ver-
haftet wurde. Darauf sagte laut Artikel der Verhaftete: „Die Wachmänner tun so
nix, als die ganze Nacht unter die Haustore schlafen und nach Fünfe gehn’s die Leut
verhaften.“710 Von einem „Zauber der Montur“ ist hier wenig zu spüren. In einem
anderen Fall schoss man auf den Wachposten, weil man dachte, dass es sich bei
ihm um einen Dieb handelte.711 Wie im Falle der Grazer Wache oder im Falle des
Landsturms gerieten auch die Bürgerwehren mehrmals mit Soldaten oder Zivil-
personen aneinander. In einer Nacht gegen Ende Dezember wurden beispielsweise
zwei Mitglieder der Eggenberger Marktwache vor der Volksschule am Hasnerplatz,
„wo sie mehrere dort einquartierte Infanteristen streitend auf der Straße trafen“,
von diesen aus unbekannten Gründen mit dem Bajonett verletzt.712 Ähnlich wie
die listenartigen Korrespondenz-Nachrichten713 über die „patriotischen“ Kundge-
bungen außerhalb von Graz, finden sich in der Grazer Presse Berichte über Wach-
posten-Zusammenstöße in anderen Regionen der cisleithanischen Reichshälfte.
Verwiesen sei hier lediglich auf drei Vorfälle. In Salzburg wurde anscheinend auf
der Zugstrecke zwischen Schwarzsee und Kitzbühel ein „Wachposten vom benach-
barten Posten erschossen“.714 Ähnliches ereignete sich wohl in Niederösterreich.
Dort wurde einem Bericht des Arbeiterwillens zufolge die Wachablösung vom
Wachposten erschossen.715 In Kärnten versuchte ein Wachposten, ein Auto aufzu-
halten, und wurde daraufhin erschossen.716 Ob dem nun tatsächlich so war, sei
dahingestellt. Die Berichterstattung unterstrich aber durch derartige Berichte den
Ernst der Lage und förderte das Gefühl, dass man ein (vermeintlich) gemeinsames
Schicksal mit anderen Städten und Orten der Monarchie teilte. Die Presse vertei-
709 Schüsse auf einen Verdächtigen, in: Grazer Tagblatt, 8.8.1914 (Abendausgabe), 5.
710 Ein Freund der Arbeit, in: Grazer Mittags-Zeitung, 6.1.1915, 4.
711 In der Meinung, überfallen zu werden, auf Wachposten geschossen, in: Sonntagsbote, 16.8.1914,
14.
712 Angriff auf zwei Mitglieder der Eggenberger Marktwache, in: Grazer Tagblatt, 28.12.1914
(Abendausgabe), 3.
713 Vgl. z. B. Patriotische Kundgebungen, in: Grazer Volksblatt, 31.7.1914 (Abendausgabe), 2.
714 Ein Wachposten vom benachbarten Posten erschossen, in: Grazer Volksblatt, 22.8.1914, 5.
715 Die Wachablösung vom Wachposten erschossen, in: Arbeiterwille, 12.9.1914 (Abendausgabe), 4.
716 Ein Reserveoffizier erschossen, in: Arbeiterwille, 9.8.1914, 6.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453