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Pfadfinder und Wandervogel | 391
Spendeneintreibe-Dienst melden sollten. Abseits dieser „patriotischen“ Spenden-
aktionen, die von zahlreichen Missbräuchen wie Diebstahl und Betrug begleitet
wurden756, traten die Kinderfreunde durch ihre Wanderungen außerhalb von Graz
in Erscheinung. Obgleich einige der Ausflüge aufgrund des Kriegs Anfang August
abgesagt wurden, zeigt ein Blick auf die Zeitungsrubrik „Nachrichten aus den Ver-
einen“ dennoch, dass die Kinderfreunde ihre Ausflüge im Krieg fortsetzten.757
Die zweitälteste der hier im Vordergrund stehenden Kinder- und Jugendorga-
nisationen stellte der deutschnationale Wandervogel dar. In Deutschland entstand
die Wandervogelbewegung in den 1890er Jahren. In der k. u. k. Doppelmonar-
chie, genauer gesagt in der cisleithanischen Reichshälfte, setzte die Wandervo-
gelbewegung einige Jahre später ein und sie rekrutierte weitgehend Mittelschüler
und Mittelschülerinnen.758 Wenngleich erste Gruppen bereits seit 1907 existierten,
wurde der überregionale Dachverband „Österreichischer Wandervogel. Bund für
deutsches Jugendwandern“ erst 1911 ins Leben gerufen.759 Im selben Jahr entstan-
den Wandervogelgruppen in Graz (Bürgergasse)760 und Wien. Weitere Gruppen-
gründungen folgten, wie zum Beispiel jene in Leoben (1913). 1913 verfügte der
Verband bereits über 62 Ortsgruppen, ungefähr 900 Mitglieder, 900 Wandervögel
und rund 1.300 Teilnehmer und Teilnehmerinnen.761 Im selben Jahr hielt die Wan-
dervogelbewegung einen Bundestag in Krems ab, an dem „Slowenen“, „Juden“ und
„Welsche“ unerwünscht waren. Diese politische Ausrichtung evozierte die Bildung
weiterer Ortsgruppen, darunter in Cilli/Celje (April 1914)762, Knittelfeld (1917)
und Bruck a. d. Mur (1917).
Die Pfadfinder waren die jüngste steirische Kinder- und Jugendorganisation.
Wie im Falle des Wandervogels ging die Mehrheit der (jungen) Pfadfinder und
Pfadfinderinnen in die Mittelschule.763 Vor dem Ersten Weltkrieg gab es deutsch-
nationale und katholisch-konservative Gruppen, die ihre programmatischen
Ausrichtungen während des Kriegs aufrechterhielten. Die Mehrheit der Pfadfin-
dergruppen war damals deutschnational ausgerichtet, zumal es bis zum Ende des
756 Siehe das Kapitel: Diebstahl und Betrug.
757 Siehe das Kapitel: Verbliebene „Kriegsfreizeit“.
758 Zur Geschichte der Wandervogelbewegung in der cisleithanischen Reichshälfte: Seewann (1971),
59–95; Fux (1970), 18–20. Der Abriss über den Wandervogel fußt, sofern nicht anders ausgewie-
sen, auf diesen Büchern.
759 So existierte z. B. seit 1907 eine Gruppe im nordböhmischen Leitmeritz (Litoměřice).
760 Österreichischer Wandervogel, in: Grazer Tagblatt, 11.7.1911 (Abendausgabe), 2.
761 Zum Organisationsaufbau vgl. wie gesagt: Seewann (1971); Fux (1970).
762 Cilli, in: Grazer Tagblatt, 24.4.1914, 8.
763 Der Abriss über die gespaltene Pfadfinderbewegung in der Steiermark fußt – wenn nicht anders
angegeben – auf: Fux (1970), 43–61.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453