Page - 393 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Pfadfinder und Wandervogel | 393
sondern gang und gäbe. Der Andrang auf die Kanzleien der (gespaltenen) Pfadfin-
der und auf jene des Wandervogels war enorm.770 1915 verfügte das (katholische)
Pfadfinderkorps St. Georg an die 200 Mitglieder, die sich auf sieben Georgsrit-
terzüge verteilten. Die deutschnationalen Grazer Pfadfindergruppen konnten ei-
nen noch höheren Mitgliederzulauf verbuchen, was die Gründung neuer Gruppen
mit sich brachte. Allein in den ersten Kriegsmonaten entstanden siebzehn neue
deutschnationale Pfadfindergruppen: Armin, Baldur, Bayern, Edeltraut, Freya,
Gudrun, Hildur, Hindenburg, Hötzendorf, Lützow, Mackensen, Nibelungen, Sieg-
fried, Sieglind, Wälsungen, Wikinger und Wotan. Der hohe Zulauf in Graz führte
dazu, dass die deutschnationalen Grazer Gruppen 1915 bereits 660 männliche und
240 weibliche Mitglieder hatten. Außerhalb von Graz gab es größere deutschnatio-
nale Pfadfindergruppen in Leoben (Mitte August 1914), Weiz (1915) und Kapfen-
berg (1916). Gegen Ende des Kriegs reduzierten sich wieder die Mitgliederzahlen
der beiden Pfadfinderströmungen. Der Wandervogel, der in Graz immer stärker
war als das katholische Grazer Pfadfinderkorps, konnte nach dem Krieg dagegen
nicht mehr an seine Erfolge der Vorkriegszeit anschließen. Über den Andrang auf
die einzelnen deutschnationalen Pfadfinderkanzleien in Graz, zum Beispiel in der
Laudongasse oder in der Annenstraße, berichtete auch Wilfried Teppner in der ein-
mal im Monat erscheinenden Alpenländischen Pfadfinder-Zeitung. Diese Zeitung,
das (kurzlebige) Hauptorgan des Steirischen Pfadfinderbunds, erschien 1915 zum
ersten Mal und wurde 1917 wieder eingestellt. Wilfried Teppner war zu Kriegsbe-
ginn stellvertretender Hauptfeldmeister und später, aber noch im Krieg, wurde er
Hauptfeldmeister des Steirischen Pfadfinderbunds. Seinen (einseitig dargestellten)
Werdegang entnimmt man unter anderem der ab Mai 1916 in der Alpenländi-
schen Pfadfinder-Zeitung abgedruckten Darstellung „Pfadfinderwesen, Erwägun-
gen und Betrachtungen“ in fünf Teilen. Dieser zielgerichtete Fortsetzungsessay
bietet durchaus einen Einblick in den Aktionsradius der Pfadfindergruppen zu
Kriegsbeginn 1914. Das Hauptaugenmerk galt aber dem deutschnationalen Pfad-
finderleben im Jahr 1916. Dieses habe sich im Vergleich zu den ersten Kriegswo-
chen sehr verändert, da – so die Darstellung von Wilfried Teppner – die Disziplin
in den einzelnen Gruppen kaum mehr vorhanden gewesen sei:
„Denn ruhig können wir heute [im Jahr 1916] sagen: von jenen rund 500 Jungen, die
sich damals als Pfadfinder meldeten, waren 400, die für das Pfadfinderwesen nichts
taugten. Es war die allgemeine Begeisterung der ‚Alten‘, die die ‚Jungen‘ mit fortriß,
ohne daß dieselben das geringste Verständnis oder Interesse an der großen Sache unse-
770 Abseits der hier zitierten Quellen siehe: Seewann (1971); Fux (1970).
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453