Page - 405 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Diebstahl und Betrug | 405
Bereits Anfang August erfuhr die Grazer Bevölkerung, dass „patriotische“ Spen-
den- und Wohltätigkeitsaktionen von Diebstahl und Betrug begleitet wurden. Die
erste Spendenaktion, bei der es zu Diebstählen oder Ähnlichem kam, waren die
Rot-Kreuz-Tage am 4. und 5. August.822 Geleitet wurde die Aktion vom Frauen-
ausschuss des Roten Kreuzes. Im Allgemeinen sammelte man an diesen zwei Ta-
gen mittels Sammelbüchsen und Sammeltischen (an denen Frauen saßen)823 Geld
für das Rote Kreuz. Wenn man einen gewissen Betrag spendete, erhielt man ein
kleines Abzeichen. Kleiderspenden waren ebenfalls möglich. Die Spendensamm-
lungen wurden von Beginn an von der Wache überwacht, indem sie die eigens
dafür ausgestellten Erlaubnisbescheinigungen zur legitimen Spendeneinsamm-
lung kontrollierte. Während der Sammelaktion häuften sich dann die ersten Nach-
richten von Personen, die sich ohne Erlaubnis an der Spendensammlung beteilig-
ten. Man sprach mehrmals von „Mißbrauch“824 und sofern es gelang, wurde der
Täter oder die Täterin, darunter Kinder, auf die nächstgelegene Wache gebracht.
Dort stellte sich dann tatsächlich heraus, dass sie das Rote Kreuz betrogen hatten.
Das von Statthalter Manfred von Clary und Aldringen öffentlich angeprangerte
illegitime Sammeln „sogar mit gefälschten Beglaubigungsschreiben“825 blieb nicht
auf die Rot-Kreuz-Tage beschränkt. In Wahrheit vollzog es sich das gesamte erste
Kriegsjahr über.826 Immer wieder wurden Grazer und Grazerinnen verhaftet, weil
sie zum Schein auf die eine oder andere Weise Geld für das Rote Kreuz oder für
einen anderen Zweck gesammelt hatten. Man sammelte illegitimer Weise nicht nur
auf der Straße, sondern ging auch von Haus zu Haus, von Geschäft zu Geschäft
oder von Gasthaus zu Gasthaus. Ein Grazer ging zum Beispiel von Tür zu Tür und
gab vor, für den Grazer Tierschutzverein zu sammeln.827 Zwar stellte sich heraus,
822 Ein Abriss über illegitime Sammelaktionen in Darmstadt zu Kriegsbeginn in: Stöcker (22014),
66 f.
823 An den Sammeltischen konnte man sich verständlicherweise für das Rote Kreuz einschreiben.
Die Sammlerinnen und Sammler durften gratis mit der Straßenbahn fahren.
824 Mißbrauch beim Sammeln für das Rote Kreuz, in: Grazer Volksblatt, 5.8.1914 (Abendausgabe), 4.
825 Unbefugte Sammlung für das Rote Kreuz, in: Grazer Tagblatt, 14.8.1914, 11.
826 Einige Beispiele aus den Augusttagen: Verbotene Sammlungen, in: Grazer Volksblatt, 9.8.1914, 6;
Unbefugte Sammlungen, in: Grazer Montags-Zeitung, 10.8.1914, [ohne Seitenangabe]; Achtung
vor Schwindlern!, in: Arbeiterwille, 12.8.1914 (Abendausgabe), 3; Warnung des Publikums vor
unbefugten Sammlern, in: Grazer Mittags-Zeitung, 29.8.1914, 2; Warnung vor unberechtigter
Führung des Roten Kreuzes, in: Grazer Mittags-Zeitung, 29.8.1914, 3. Vgl. auch drei Artikel aus
späteren Tagen: Unbefugter Sammler für das Rote Kreuz, in: Grazer Tagblatt, 25.9.1914 (Abend-
ausgabe), 3; Achtung vor Schwindlern, in: Arbeiterwille, 26.9.1914, 3; Achtung vor unbefugten
Sammlern, in: Arbeiterwille, 14.12.1914 (Abendausgabe), 3.
827 Betrug, in: Grazer Mittags-Zeitung, 11.11.1914, 3. Vgl. auch: Ein unbefugter Sammler, in: Grazer
Tagblatt, 11.11.1914 (2. Morgenausgabe), 3.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453