Page - 406 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen406
dass er tatsächlich einen Beglaubigungsschein besaß, dieser galt aber nur für das
Jahr 1912. Der illegitime Sammler hatte lediglich in seinem Beglaubigungsschein
das Jahr „1912“ durchgestrichen und „1914“ hingeschrieben. In einem anderen
Fall hatten drei Buben zwar tatsächlich einen Berechtigungsschein zum Sammeln
für die Kriegshilfsstelle, sie gaben aber das Spendengeld aus der Sammelbüchse in
einem Gasthaus aus.828 Diese Betrugsfälle beschäftigten selbstverständlich das
k.
k.
Innenministerium. Einem Erlass zufolge wurden selbst die weißen Rot-Kreuz-
Armbinden „von zahlreichen Personen unbefugt getragen“.829 Ferner hätten „viele
Geschäftsinhaber“830 zu Unrecht in ihren Schaufenstern deklariert, dass ein Teil
ihrer Einnahmen an das Rote Kreuz ginge. Zusätzlich dazu gingen Menschen aufs
Land, wo sie den Bäuerinnen und Bauern erzählten, dass sie für das Rote Kreuz
sammeln würden. Die Zeitungen missbilligten logischerweise diese Vorfälle.
Obendrein wiesen sie darauf hin, dass das Rote Kreuz nicht auf diese Weise agieren
würde. Ein Beispiel hierfür wäre der Artikel „Ein neuer Schwindel! Aufgepaßt!!“
des Volksblatts, der mit folgendem Appell endete: „Jagt sofort hinaus solches Ge-
sindel, welches angeblich fürs Rote Kreuz Einkäufe zu machen vorgibt, weil das
Rote Kreuz keine solchen Einkäufer hat.“831 Vorfälle und Appelle wie diese finden
sich mehrmals in den Lokalteilen der Presse und sie hielten dem Leser und der
Leserin vor Augen, dass einige Grazer und Grazerinnen die „Heimatfront“ um ihr
Spendengeld betrogen. Die Sammelbüchsen des Roten Kreuzes oder die für andere
Unterstützungen (für die Kriegshilfsstelle/für Reservistenfamilien) wurden beson-
ders oft gestohlen. Sie standen am Tresen von Gast- und Kaffeehäusern, Trafiken
sowie Geschäften und sie kamen allem Anschein nach „auffallend“ leicht abhan-
den. Einmal konnte man in der Presse lesen, dass jemand die volle Sammelbüchse
stahl und eine leere bzw. selbstmitgebrachte Dose hinstellte.832 Den Zeitungen zu-
folge wurden die Diebe nur in seltenen Fällen geschnappt. War ein Täter oder eine
Täterin auf der Flucht, druckte die Presse, so gut es ging, eine Personenbeschrei-
bung. Einer der Diebe hatte beispielsweise einen (auffälligen) Ausseerhut mit
Gamsbart getragen. Zumindest fahndete man nach so einem Mann.833 In der Regel
828 Achtung vor unbefugten Sammlern, in: Arbeiterwille, 14.12.1914 (Abendausgabe), 3.
829 Gegen Mißbrauch des „Roten Kreuzes“, Erlass des Innenministeriums vom 25.8.1914, in: Amts-
blatt der landesfürstlichen Hauptstadt Graz (30.9.1914), 420.
830 Ebd.
831 Ein neuer Schwindel! Aufgepaßt!!, in: Grazer Volksblatt, 7.10.1914, 5.
832 Gestohlene Sammelbüchsen, in: Grazer Mittags-Zeitung, 15.12.1914, 4; Eine Schwindlerin, in:
Grazer Mittags-Zeitung, 16.12.1914, 3.
833 Gestohlene Sammelbüchse, in: Grazer Mittags-Zeitung, 5.10.1914, 3. Vgl. parallel: Ein Sammel-
büchsenmarder, in: Arbeiterwille, 5.10.1914 (Abendausgabe), 3.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453