Page - 408 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen408
seine regulären Unterstützungsprojekte heran. Es ist daher kaum verwunderlich,
dass die „Gold-gab-ich-für-Eisen“-Sammlung von den Zeitungen intensiv bewor-
ben wurde und dabei auch die Namen der Spender und Spenderinnen veröffent-
licht wurden.837 Nun gab es aber einige Menschen, die diese besagten eisernen
Ringe imitierten und obendrein noch verkauften (bzw. verkaufen konnten). Dieser
Umstand verärgerte sehr, zumal er dem eigentlichen Hintergedanken der Aktion
widersprach. In Misskredit gerieten daher sowohl die Nachahmer als auch diejeni-
gen, die deren Imitate gekauft hatten (ohne dass sie dafür Gold gegeben hätten).
Konkrete Namen, wer hinter diesen Betrugsfällen steckte, erfuhren die Grazerin-
nen und Grazer nicht. Probleme gab es nicht nur wegen der Imitate. Selbst die
Durchführung der offiziellen „Gold-gab-ich-für-Eisen“-Aktion erfolgte nicht
komplikationslos. Einmal fragte beispielsweise eine Person das Tagblatt, ob die Re-
daktion denn wüsste, wann genau die neuen Eisenringe zugesandt würden. Das
Tagblatt konnte auf diese Frage in ihrem „Briefkasten“ keine konkrete Antwort
geben, sondern der Person nur beruhigende Worte zusprechen. In der Antwort
hieß es, dass die Edelmetallringe „an die genannte Stelle abgesandt“ seien und,
dass die „Zusendung der eisernen Ringe [... durch viel Arbeit] eine Verzögerung
erfahren“ hätte.838 Die Eisenringe waren definitiv ein auffälliges Zeichen für den
persönlichen Kriegseinsatz. Mehrfach würdigte die Presse jene Personen, die sich
an dieser Aktion beteiligten. Diskreditiert wurden hingegen diejenigen, die an
dem einen Finger einen Eisenring und an anderen Fingern Diamantenringe tru-
gen. Konkrete Fälle, dass dem wirklich so gewesen sei, schilderte die Presse aber
nicht. Sie beließ es bei einer normgebenden Kritik an der „[p]atriotische[n]
Koketterie“.839
Zu den Betrügern der damaligen Zeit zählten nicht zuletzt diejenigen, die sich
unrechtmäßig eine Soldatenuniform erschlichen und sich davon Prestige oder
wenigstens Geld (für wahre oder erfundene Kriegsgeschichten) sowie Almosen
(für Verpflegung und Unterkunft) erhofften.840 Einige dieser „Wirtshauskrieger“
wurden auch verhaftet.841 Unter den Soldaten gab es wiederum einige, die sich
837 Gold gab ich für Eisen, in: Grazer Tagblatt, 1.9.1914, 2; Gold gab ich für Eisen!, in: Grazer Mit-
tags-Zeitung, 7.10.1914, 3.
838 Briefkasten der Schriftleitung, in: Grazer Tagblatt, 25.9.1914, 7.
839 Patriotische Koketterie, in: Grazer Mittags-Zeitung, 5.11.1914, 4.
840 Siehe z. B. einen Grazer Fall von „Landstreicherei“ und falschem Soldatensein in der Ge-
richtsparte: Der Lovćen ist erstürmt, in: Grazer Tagblatt, 27.8.1914, 5.
841 Vgl. z. B. Wirtshauskrieger!, in: Arbeiterwille, 12.11.1914 (Abendausgabe), 2. Ein Beispiel aus
dem letzten Kriegsjahr wäre der Artikel: Zwei verwegene Eisenbahndiebe in Offiziersuniform.
Wie im Kino. – Der Zauber der Montur. – Abenteuerliche Flucht, in: Arbeiterwille, 19.9.1918, 5.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453