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Diebstahl und Betrug | 409
ein höheres Dienstgradabzeichen ansteckten. Im Zuge der als ernst empfunde-
nen Lage galt verständlicherweise das illegitime Tragen einer Uniform als „unpa-
triotisches“ Verhalten.842 Derartige Fälle finden sich im ersten Kriegsjahr immer
wieder. Anfang August verschaffte sich beispielsweise ein Grazer Tagelöhner auf
unbekannte Weise eine Uniform und wurde deswegen sowohl wegen Diebstahls
als auch wegen illegitimen Tragens einer Uniform verhaftet. Ein Grazer Fleischer-
gehilfe verband sich Ende August den Kopf und den Hals, um der Presse zufolge
als Verwundeter Almosen zu empfangen. Ähnliches praktizierten ein Maschinen-
schlossergehilfe und ein Malergehilfe. Die Liste ließe sich erweitern. Kaum ein
anderer Artikel hat die dahinterliegende Problematik so auf den Punkt gebracht
wie der Artikel „Schwindler im Soldatenkleide“ des Tagblatts. Gedruckt wurde er
am 18.
September und er beginnt mit der Bemerkung wie folgt: „Seit einigen Tagen
treiben sich hier Leute in Militärkleidung herum, die, auf einen Stock gestützt, den
Anschein erwecken wollen, als seien sie Verwundete.“843 Die Anteilnahme, so das
Tagblatt, „die ihnen entgegengebracht wird, nützen sie aus, um jene, die sie an-
sprechen, um Zigaretten, Geld u. s. w. zu bitten, was ihnen auch in der Regel gern
gegeben wird.“ Aus diesem Grund empfehle es sich, die Spenden für verwundete
Soldaten „ausschließlich den amtlichen Sammelstellen zu“ übergeben.844 Für das
Militär war es „vom moralischen und disziplinären Standpunkte aus ganz unzuläs-
sig, daß herumlungernde und bettelnde Militärpersonen, welche in vielen Fällen
auch entsprechend alkoholisiert sind, geduldet werden“.845 In der entsprechenden
Verfügung hieß es zudem, dass „unlautere, nicht dem Militärverbande angehörige
Elemente sich auf irgend einem unerlaubten Wege Uniformen zu verschaffen wuß-
ten (was mit Rücksicht darauf, daß sich viele Mannschaftspersonen in Privatpflege
befinden, leicht möglich ist)“. Abseits der „Schwindler in Militäruniform“846 bilde-
ten die sogenannten „Bauernfänger“ einen weiteren fixen Bestandteil der Grazer
842 Das Anziehen einer Uniform bedeutete für viele gleichzeitig das „Aneignen“ der soldatischen
Normvorgaben („Ehre“, „Pflicht“, „Treue“ und so weiter). Die folgenden Fälle fußen auf: Ein
Schwindler in Militäruniform, in: Grazer Volksblatt, 2.8.1914, 7; Einer, der als Verwundeter
Schwindel treibt, in: Kleine Zeitung, 20.8.1914, 6; Ein Schwindler mit verbundenem Kopf, in:
Grazer Tagblatt, 9.10.1914, 3; Ein Schwindler, in: Grazer Mittags-Zeitung, 4.9.1914, 3.
843 Schwindler im Soldatenkleide, in: Grazer Tagblatt, 18.9.1914 (Abendausgabe), 2.
844 Ebd.
845 Verfügungen zur Aufrechterhaltung der Disziplin und des militärischen Ansehens, Erlass der
Statthalterei vom 23.10.1914, in: Verordnungsblatt der k. k. steiermärkischen Statthalterei
(4.11.1914), 379. Vgl. parallel: Verfügungen zur Aufrechterhaltung der Disziplin und des militä-
rischen Ansehens, in: Amtsblatt der landesfürstlichen Hauptstadt Graz (31.10.1914), 436.
846 Ein Schwindler in Militäruniform, in: Grazer Volksblatt, 25.10.1914, 4.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453