Page - 411 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Diebstahl und Betrug | 411
Trotzdem warnte sie vor einer „Verschleuderung des Viehes“851 und berichtete von
Bauern, die von „Bauernfänger[n]“852 oder falschen „Ärarlieferant[en]“853 betrogen
wurden. Nur wenige Male konnte die Presse anmerken, dass ein „Bauernfänger“
verhaftet wurde. Weitaus öfter konnten die Zeitungen dagegen die Nachricht brin-
gen, dass in Graz ein sogenannter „Milchpantscher“854 verhaftet werden konnte.
Die „Milchpantscher“ (meistens handelte es sich hierbei um Frauen) standen ver-
ständlicherweise in keinem guten Licht, zumal die Milchpreise stiegen und nie-
mand verstehen konnte, wie man bei steigenden Preisen obendrein noch die Milch
verwässern könne (die „Milchpantscherei“855). Menschen, die dies taten, wurden
von der Presse ebenso kritisiert wie diejenigen, die den Milchverkäuferinnen und
Milchverkäufern volle Milchkannen stahlen: „In letzter Zeit“, so das Tagblatt,
„wurden bei der Sicherheitsbehörde wiederholt Anzeigen erstattet, daß Milch-
führern in der Stadt Milchkannen samt Inhalt entwendet wurden.“856 Am Ende
vermittelt die Lektüre der Grazer Lokalteile und Gerichtssparten, dass Diebstahl
und Betrug von Anfang an den Aufbau der „Heimatfront“ begleiteten.857 Ebenso
verunmöglichten die laufenden Berichte hinsichtlich gestohlener Sammelbüchsen
und anderer Diebstähle die Bildung einer uniformen „Kriegsgemeinschaft“, die als
solche nur den ausländischen Feind kennen würde. Schlussendlich lebte die über-
wiegende Mehrheit der (öffentlich stigmatisierten) Feinde in der Stadt Graz oder
ihren „Vororten“. Diesen „unpatriotischen“ Menschen versuchte die Presse (wie
im Falle der „Helden“ an der Front) einen Namen und ein Gesicht zu geben, was
sich bereits daran zeigt, dass die Redaktionen jedwedes als negativ begriffenes All-
851 Warnung vor Verschleuderung des Viehes. An alle Bauern, insbesondere aber an jene Bäuerin-
nen, deren Männer zum Waffendienste einberufen wurden, in: Grazer Volksblatt, 13.8.1914, 5.
852 Von Bauernfängern geplündert, in: Grazer Montags-Zeitung, 10.8.1914, [ohne Seitenangabe].
853 Der falsche Ärarlieferant, in: Grazer Tagblatt, 8.11.1914 (2. Morgenausgabe), 6.
854 Siehe zwei Beispiele aus der deutschnationalen Mittags-Zeitung: Milchpantscher, in: Grazer
Mittags-Zeitung, 2.1.1915, 3; Noch ein tüchtiger Milchpantscher, in: Grazer Mittags-Zeitung,
13.1.1915, 4.
855 Milchpantscherei, in: Grazer Tagblatt, 7.10.1914 (2. Morgenausgabe), 5. Abseits der Zeitungen
vgl. auch die Konfiskationsnachweise des städtischen Marktkommissariats, die z.
B. im Amtsblatt
der landesfürstlichen Hauptstadt Graz abgedruckt wurden. Dort listete das Marktkommissariat
ihre Marktbank-Beanstandungen (Revisionen, Beschlagnahmungen etc.) nach marktpolizeili-
chen, gewerbepolizeilichen, eichpolizeilichen und sanitätspolizeilichen Gesichtspunkten auf.
Vgl. z. B. Konfiskationsnachweis des städtischen Marktkommissariates für den Monat Oktober
1914, in: Amtsblatt der landesfürstlichen Hauptstadt Graz (10.11.1914), 441.
856 Billige Milch, in: Grazer Tagblatt, 14.10.1914 (2. Morgenausgabe), 3.
857 Vgl. abschließend: Einbruch im Rathause, in: Grazer Tagblatt, 30.10.1914 (2. Morgenausgabe),
16. Siehe dazu auch: Festnahme eines steckbrieflich Verfolgten, in: Grazer Tagblatt, 24.11.1914
(2. Morgenausgabe), 16.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453