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Sakristeien |
105Altäre
und Scheinaltäre
aus Platzgründen kein geweihter Altar aufgestellt werden könnte.267 Eines der beiden
Inventarstücke kann in fast allen Barocksakristeien nachgewiesen werden, wobei es
sich zumindest bei den »Scheinaltären« um einen Möbeltyp handelte, der schon lange
bekannt war. So zeigt das berühmte Augustinus-Gemälde, das Vittore Carpaccio (um
1465/67–1525/26) 1502 für die Scuola di San Giorgio degli Schiavoni in Venedig
ausführte, den an seinem Schreibtisch arbeitenden Kirchenlehrer. Er sitzt vor einer Ni-
sche mit einem altarähnlichen Möbel, auf dem eine hohe Statue des Auferstandenen
und zwei Leuchter zu erkennen sind. Die Vorderseite des Inventarstücks öffnet sich
mit Türen, die den Blick auf Bücher und andere Objekte freigeben. Unter der mäßig
überstehenden Platte hängt wie ein Altarantependium ein zur Seite geschlagener Vor-
hang.268
Während in den Sakralräumen, die in Verbindung mit der vorliegenden Studie un-
tersucht wurden, geweihte Altäre beispielsweise in den Sakristeien des Stiftes Melk
(Abb. 216, 219) sowie in der Prälatensakristei des Wiener Schottenstiftes vorkom-
men269, ließ sich ein beeindruckendes Beispiel für einen Schrank in Altarform in der
Sakristei des Stiftes Lambach nachweisen (Abb. 323). Es ist der Schrank des Abtes.
Wie das häufig der Fall ist, zeichnet sich auch hier sein Möbel durch eine besondere
Gestaltung aus. Als Halbschrank nimmt es die prominente Stelle vor einer hohen höl-
zernen Schauwand ein. Ausgehend von weit ausladenden Flügeln schwingt sie nach
oben, um einen Baldachin in Form eines Rundgiebels zu tragen. Der »Altar« besteht
aus einem geschweiften und gebauchten Kasten, den Türen verschließen. Der auf der
»Mensa« ruhende »Tabernakel« besitzt Tempiettoform, bekrönt wird er von einer
Kuppel und einem Standkreuz.270
Gewöhnlich legte man jedoch weit weniger Wert auf die Gestaltung solcher
»Schein altäre«. Als Beispiel für diese Beobachtung mag das Exemplar in der Sa-
kristei des Stiftes Lilienfeld angeführt werden. Es besteht aus einem hüfthohen
Schrank mit zwei seitlichen Schubladenreihen, die im mittleren Joch angeordnete
Türen flankieren (Abb.
212). Der Schrank ist in eine Fensternische mit vertäfelten
Wänden eingefügt. Auf der Platte des Möbels liegt eine Decke, seitlich finden
zwei Leuchter Platz, ein kleines Altarkreuz ruht auf dem Abschlussgesims des
267 Borromeo, ebd., 138–139 ; Müller, KirchenGeschmuck (1591), 115–116 ; Keller, Sakristeien (2009),
85–93. Vgl. zur heutigen Situation Fattinger, Requisitenkunde (1954), bes. 37–38, 216–219.
268 Schottmüller, Wohnungskultur (1921), Abb. 44.
269 In der Prälatensakristei des Schottenklosters befindet sich heute ein Altar, der dort nach dem Zweiten
Weltkrieg aufgestellt wurde. Der ursprüngliche Sakristeialtar soll eher schlicht gewesen sein. Freundli-
che Auskunft von P. Augustinus Zemann OSB.
270 Ein weiteres hochkarätiges Beispiel für einen »Scheinaltar« findet sich in der Sakristei der Wiener
Paulanerkirche (Abb. 46).
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Volume I: Östliche Landsteile
- Title
- Sakralmöbel aus Österreich
- Subtitle
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Volume
- I: Östliche Landsteile
- Author
- Michael Bohr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20512-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 730
- Keywords
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Zur Barockisierung von Weltkirchen und Klöstern 31
- Tischlerwerkstätten in Wien 33
- Tischlerwerkstätten auf dem Land 36
- Zur Größe der Werkstätten 40
- Zur Zusammenarbeit von Tischlern mit andern Handwerkern 41
- Zur Beschaffung des benötigten Holzes 43
- Zur Qualität des Holzes und zum System der Vergütung von Tischlern 43
- Nachlassende Qualität der Tischlererzeugnisse im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert 46
- Zu den verwendeten Materialien 48
- Zur Oberflächenveredelung und Restaurierung 51
- Exkurs : Technische Innovationen als Grundlage der Entwicklung neuer Gestaltungsformen 55
- II. Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente 58
- III. Die Entwicklung des Kirchenmobiliars 81
- IV. Sakristeien 101
- Ihre Lage innerhalb des Raumgefüges 101
- Der Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel 102
- Zur Funktion von Sakristeien, barocke Sakristeieinrichtungen und die Schriften von Carlo Borromeo und Jacob Müller 104
- Altäre und Scheinaltäre 104
- Lavabos 106
- Sakristeischränke und Ankleidekredenzen 107
- Zur Entwicklungsgeschichte der Sakristeischränke 110
- Ankleidetische und Tischkästen 111
- Truhen und Truhenbänke 113
- Beichtstühle 115
- Betpulte, Kniebänke und Bankpulte 116
- V. Mobiliar in Nebenräumen von Kirchen und Klöstern 118
- VI.Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln 127
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 133
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 133
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 133
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 134
- I. Sakralbauten in Wien 135
- II. Sakralbauten in Niederösterreich 247
- Altenburg, Benediktinerstift 247
- Ardagger, Pfarrkirche hl. Margarete 260
- Dürnstein, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 264
- Geras, Prämonstratenser-Chorherrenstift 283
- Göttweig, Benediktinerstift 294
- Heiligenkreuz, Zisterzienserstift 315
- Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift 335
- Horn, Piaristenkirche 347
- Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift 352
- Krems, Piaristenkirche 367
- Krems, Pfarrkirche St. Veit 380
- Lilienfeld, Zisterzienserstift 386
- Melk, Benediktinerstift 408
- St. Marein, Pfarrkirche hl. Maria 434
- St. Pölten, Dom- und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 436
- Seitenstetten, Benediktinerstift 452
- Wiener Neustadt, Zisterzienserstift Neukloster 466
- Zwettl, Zisterzienserstift 477
- III. Sakralbauten in Oberösterreich 500
- Baumgartenberg, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 500
- Kremsmünster, Benediktinerstift 512
- Lambach, Benediktinerstift 534
- Linz, Jesuitenkirche (Alter Dom) 551
- Linz, Karmelitenkloster 566
- Linz, Seminarkirche Hl. Kreuz 572
- St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift 580
- Schlägl, Prämonstratenser-Chorherrenstift 607
- Schlierbach, Zisterzienserstift 621
- Waldhausen, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 631
- Wilhering, Zisterzienserstift 638
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse –
- Literatur
- Zusammenfassung und Ausblick 659
- Zum Aufbau des Buchs 659
- Historischer Abriss 660
- Entwicklungsgeschichte der Kirchenmöbel 661
- Zur Einrichtung verschiedener Räume in Kirchen und Klöstern 662
- Zur Hierarchie sakraler Einrichtungen 663
- Die Auftraggeber und ihr Einfluss auf die Kunstentwicklung 663
- Zum Verhältnis zwischen Auftraggebern, Architekten und Handwerkern 665
- Zu den Tischlern 665
- Stilistische Entwicklung der Möbel 666
- Regionale Besonderheiten 667
- Fazit und Ausblick 668
- Glossar 670
- Ortsindex 678
- Künstlerverzeichnis 682
- Abkürzungsverzeichnis 688
- Abbildungsnachweis 692
- Literaturverzeichnis 693