Page - 149 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Image of the Page - 149 -
Text of the Page - 149 -
149Zusammenfassung
runter eine Zuchtsau und zwei Mastschweine, und 25 Hühner ; das entsprach einer
überdurchschnittlichen Vieh intensität von 1,3 GVE pro Hektar. An Maschinen
wurden je eine Drill-, Dresch- und Häckselmaschine verzeichnet, die zusammen
einen Neuwert von 1.160 Reichsmark darstellten ; die Maschinenintensität lag mit
309 Reichsmark über dem Durchschnitt. Neben dem Besitzerpaar lebten ein Al-
tenteiler und eine neugeborene Tochter im Haushalt ; der V/A-Quotient betrug
durchschnittliche 1,7 Personen. Der Mann verdingte sich gelegentlich als Musikant,
wodurch er jährlich etwa 150 Reichsmark zum Familieneinkommen beitrug. Die
wichtigsten Einnahmequellen waren Wein, Milch, Rind- und Schweinefleisch und
Eier. Laut Kalkulation des Sachbearbeiters verblieben nach Abzug der Betriebs-
ausgaben und Lebenshaltungskosten jährlich etwa 300 Reichsmark. Neben dem
„guten Eindruck“, den der Sachbearbeiter von der Frau gewann, charakterisierte er
den und die Antragsteller/-in als „sehr sparsam, pünktliche Zahler“ ; damit war die
„Entschuldungswürdigkeit“ gegeben, ohne dass Auflagen notwendig schienen.280
2.9 Zusammenfassung
Dieses Kapitel hat das Feld der (unter-)bäuerlichen und gutswirtschaftlichen
Betriebs- und Haushaltsführung im Reichsgau Niederdonau zu Beginn der NS-
Herrschaft vermessen. Die zeitgenössische Agronomie konstruierte den Hof als
ganzheitlichen Organismus ; damit folgte sie der Organismustheorie des agrarwis-
senschaftlichen Fachdiskurses im Kontext der sich formierenden Wissensgesell-
schaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz seit der Jahrhundertwende.
Die Therapien gegen die vermeintlichen Krankheiten des „Hoforganismus“ erfor-
derten präzise Diagnosen ; damit gewann agrarstatistisches Wissen an Bedeutung
für die politisch-ökonomische Steuerung des ‚nationalen Hofes‘. Die Methoden
der konventionellen Agrarstatistik – Betriebszählungen und Buchführungsergeb-
nisse – vermochten diese Funktion nicht zu erfüllen. Als unkonventionelle Lö-
sung dieses Steuerungsproblems führte der NS-Agrarapparat dezentrale, laufend
aktualisierte Datensammlungen – Hofkarten und Kreiswirtschaftsmappen – ein.
Auf diese Weise wandelte sich die Agrarstatistik, die sich im 19. Jahrhundert als
Vermittlerin zwischen Nationalstaat und Zivilgesellschaft herausgebildet hatte, zu
einem Machtdispositiv des totalitären NS-Staates.
Entsprechend der Organismustheorie des Hofes suchte die Agrarstatistik Ende
der 1930er, Anfang der 1940er Jahre Agrarsysteme als Merkmalskombinationen
von Betrieben und Haushalten zu konstruieren. Die landwirtschaftliche Betriebs-
zählung 1939 bezog sich auf Flächengrößenklassen ; die Buchführungsstatistik
1937 baute auf Formen der Bodennutzung auf ; die Hofkartenstatistik 1939 unter-
back to the
book Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945"
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937