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79Blicke
hinter das Hoftor
Arbeitskräfte und, darüber hinaus, Knechten und Mägden zu bewältigen. Auch
insgesamt lässt der V/A-Quotient klare Zusammenhänge vermissen.116 Zwar legen
einige Sprengel in den linken beiden Quadranten einen Zusammenhang zwischen
dem Druck zur Versorgung noch nicht oder nicht mehr arbeitsfähiger Familien-
angehörigen und der Intensivierung der Landnutzung, etwa durch Ausweitung des
Wein- und Hackfruchtbaus, nahe ; doch lassen sich ebenso viele Gegenbeispiele
finden. Wir sollten dennoch das Familienwirtschafts-Modell nicht voreilig fallen
lassen ; das Problem liegt wohl weniger am Modell als an den ausgewerteten Da-
ten : den für den jeweiligen Sprengel aus Dutzenden oder Hunderten von Hofkar-
ten aggregierten Betriebs- und Haushaltsmerkmalen. Um die Familiendynamik im
Besonderen und endogene Agrarsystem-Momente im Allgemeinen zu erfassen,
braucht es disaggregierte Daten, die Abweichungen des Einzelfalles vom Durch-
schnitt der Gesamtheit, sei es ein Sprengel, Kreis oder Produktionsgebiet, nicht
einebnen. Wir müssen, bildlich gesprochen, nicht nur dem Agrarstatistiker über
die Schulter, sondern auch hinter das Hoftor blicken. Auf diese Weise nähern wir
uns dem, was die amtliche Betriebszählungs-, Buchführungs- und Hofkartensta-
tistik zwangsläufig aus der Ferne betrachten : dem alltäglichen Wirtschaften der
Akteure in ihren Agrarsystemen.
2.5 Blicke hinter das Hoftor
Betriebszählungs-, Buchführungs- und Hofkartenstatistik haben, trotz aller Un-
terschiede, eines gemein : Sie konstruieren ‚die Landwirtschaft‘ nach amtlich fest-
gesetzten Merkmalen wie Betriebsgrößenklassen, Betriebstypen oder Produkti-
onsgebieten. Auf diese Weise vereinfachen sie ihren komplexen Gegenstand, um
ihn besser verwalten, überwachen, steuern – kurz, regulieren – zu können.117 Doch
das Rohmaterial der amtlichen Datenzurichtung, etwa die Hofkarte, erlaubt bis
zu einem gewissen Grad, die agrarstatistische Konstruktion zu dekonstruieren.
Ähnliche Überlegungen äußerte der aus Niederdonau stammende und in Leipzig
habilitierte Agrarökonom Friedrich Waldhäusl :118
„Für die Erfassung der verschiedenen Erzeugungsgebiete Deutschlands stehen der
Agrarpolitik die statistischen Nachweisungen der Bodennutzungserhebung, der
Viehzählungen, der Berufs- und Betriebszählungen zur Verfügung. Ihre Ergebnisse
vermitteln jeweils einen Einblick in das Gefüge der Landwirtschaft, das großräumig
oder kleinräumig nach Regionaldurchschnitten dargestellt werden kann. Für die Be-
urteilung der Tragweiten agrarpolitischer Maßnahmen kommt es aber nicht nur dar-
auf an, das Gefüge landwirtschaftlicher Erzeugungsgebiete zu kennen, sondern auch
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937