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534 Das „Landvolk“ und seine Meister
der auf der Bühne des Bauernschwanks auftretende „Meckerer“
– entgegen der Re-
gieanweisung – die inszenierte Gemeinschaft von Führung und „Landvolk“.
Nach zwei weiteren Folgen verschwand die Kolumne sang- und klanglos aus
dem Wochenblatt. In diesem Fall bildeten Information, Mitteilung und Verstehen
keine Einheit, sondern standen zueinander im Widerspruch ; damit stand aber auch
der angepeilte Erfolg, die Vertrauensbindung des „Landvolks“ an die Führung, in
Frage. Die Einstellung der Kolumne war Teil der Lösung dieses Verständigungs-
problems ; durch Schweigen sollte das außer Kontrolle geratene Gerede verstum-
men. Auf diese Weise sollte den „Meckerern“, mit deren Unmut die Redaktion
konfrontiert worden war, der Wind aus den Segeln genommen werden. An diesem
außergewöhnlichen Normalfall wird die Ambivalenz der Medialisierung
– das Ge-
wicht der Medienrezeption gegenüber der Medienproduktion
– deutlich : Selbst in
einem totalitären System wie dem Nationalsozialismus besaß die „gleichgeschal-
tete“ Presse keine Deutungsallmacht ; den Sinn einer Botschaft verhandelten die
Leser/-innen als „aktives Publikum“163 vor ihren lebensweltlichen Horizonten über
weite Strecken mit, freilich stets gebunden an die Möglichkeiten und Grenzen des
Mediendiskurses.
6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort
Neben der medialen Massenberatung, etwa über das Wochenblatt, suchte das ag-
ronomische Wissenssystem während der NS-Ära auch im persönlichen Kontakt
mit einzelnen Betriebsleitern und -leiterinnen, die Wirtschaftsberatung in den
bäuerlichen Alltagswelten zu verankern. Zu den wichtigsten Vermittlungsinstan-
zen der Einzelberatung im Spannungsfeld von Experten- und Erfahrungswissen
zählten die Wirtschaftsberatungsstellen in den Landkreisen. Im Oktober 1940 zog
die Landesbauernschaft Donauland ihre Wirtschaftsberater zu einem einwöchigen
Beratungslehrgang in Bad Aussee zusammen. Die Tagung diente nicht nur zur
Vermittlung fachlicher Erkenntnisse ; es sollte auch, vor der malerischen Land-
schaftskulisse der Seen, Berge und Dörfer des Salzkammerguts und durch Lieder,
Tänze und Trachten folkloristisch gerahmt,164 der Korpsgeist der Wirtschaftsbe-
rater gestärkt werden. Es sei beabsichtigt, so Ernst Feichtinger, Leiter der Landes-
hauptabteilung II („Der Hof“), „neben der fachlichen Fortbildung und der einheit-
lichen Ausrichtung das Gefühl der Zusammengehörigkeit und der Kameradschaft
voll zum Klingen zu bringen und die Tage des Beisammenseins herauszuheben aus
der Kleinarbeit und aus den Sorgen des Alltags“.165
An den Beiträgen der Tagung lassen sich die Schwerpunkte der Fortbildung
ablesen.166 Feichtinger sprach in seinem Einleitungsvortrag über Programm und
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937