Page - 436 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Image of the Page - 436 -
Text of the Page - 436 -
436 Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“
lage erforderliche Hilfe gewährt.“169 Der „rassisch wertvolle“, im Ringen mit der
Ungunstlage beständige Bergbauer schien in besonderem Maß der staatlichen
Förderung würdig. Das fast ein Jahrzehnt nach dem Ende des „Dritten Reiches“
erschienene Buch Lombars folgt, so scheint es, dem Grundmuster des nationalso-
zialistischen Agrardiskurses an der „Schnittstelle von Ökonomie und rassistischer
Bevölkerungspolitik“.170 Seine manifeste Bedeutung, die Rechtfertigung der Tätig-
keit der Landstellen, steht mit dem latenten Sinn, der Rechtfertigung der Vorstel-
lung vom „Blutsquell und Ernährer des Volkes“, in einem zwar verschleierten, doch
festgefügten Zusammenhang.
5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen
Die Einverleibung der ostmärkischen Landwirtschaft konfrontierte das Deutsche
Reich nicht nur mit dem bäuerlichen Verschuldungsproblem, sondern auch mit
dem Problem der Bergbauernwirtschaft.171 Oder wie es ein leitender Amtsträger
der Landesbauernschaft Donauland formulierte :
„Durch den Eintritt der Ostmark in das Deutsche Reich und die damit vollzogene
Eingliederung von 400.000 Bergbauern hat sich das agrarpolitische Bild und Aufga-
bengebiet des Reiches grundlegend geändert. Nicht nur neue Fragen und Aufgaben-
stellungen, sondern auch die Notwendigkeit neuer Methoden des wirtschaftlichen
Aufbaus ergaben sich daraus […].“172
Strukturiert war die österreichische Bergbauernwirtschaft vor allem durch die na-
türliche und die Verkehrslage : Fast drei Viertel der österreichischen Land- und
Forstwirtschaftsflächen sowie knapp die Hälfte der land- und forstwirtschaftli-
chen Betriebe wurden 1934 zum Bergland, hohen Mittelgebirge oder Hochland
gezählt (Abbildung 5.13). Den Klima-, Boden- und Reliefbedingungen im Ge-
birge entsprechend gering waren die Ackerland-, entsprechend hoch die Grün-
land- und Waldanteile an den Betriebsflächen (Abbildung 5.14). Die Konsumzen-
tren Wien, Linz und Graz lagen in erheblicher Entfernung von den hochalpinen
Produktionsstandorten ; dementsprechend belasteten die Transportkosten für Be-
triebsmittel und Marktprodukte die bergbäuerlichen Betriebserträge und Fami-
lieneinkommen.173 Kaum ein Beitrag zur Debatte um den landwirtschaftlichen
„Wiederaufbau“ nach 1938 sparte den Gebirgscharakter der ostmärkischen Land-
wirtschaft aus.
Die Lösungsansätze des „Bergbauernproblems“ erforderten zunächst die Aus-
einandersetzung mit den Ursachen ; damit befasste sich ab 1938 eine Reihe wis-
back to the
book Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945"
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937