Page - 585 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Image of the Page - 585 -
Text of the Page - 585 -
585Lange
Schatten, kurzer Prozess
der Produktion, Marktordnung, Bewirtschaftung und Kriegswirtschaftsstrafrecht
im Bereich der Distribution. Jeweils zwei der drei Regulative des Produktionsbe-
reichs – Appell und Anreiz – und des Distributionsbereichs – Marktordnung und
Bewirtschaftung
– zielten auf den Einschluss der ordnungsgemäß wirtschaftenden
Akteure. Jeweils ein Regulativ – Aufsicht und Kriegswirtschaftsrecht – bezweckte
den Ausschluss von Akteuren, die aus der herrschenden Ordnung ausscherten.
Wir können daher ‚positive‘ inklusive von ‚negativen‘ exklusiven Marktregulatio-
nen unterscheiden. Entgegen der Annahme eines Gegensatzes
– hier die Ordnung,
dort das Chaos
– bedingten Ordnung und Chaos einander : Erst die „Erzeugungs-
schlacht“ legte die Messlatte so hoch, dass weniger leistungsfähige oder -willige
Betriebsleiter/-innen daran scheiterten
– und der behördlichen Aufsicht bedurften.
Erst die Marktordnungs- und Bewirtschaftungsmaßnahmen schufen die Nach-
frage, auf die das Angebot des „Schwarzmarktes“ reagierte – und die Strafverfol-
gung von Kriegswirtschaftsdelikten in Gang setzte. Kurz, „Chaos ist äußerer Ge-
gensatz der Ordnung und gleichzeitig ihr bewegendes Prinzip, in ihr aufgehoben
und Movens ihrer Veränderung.“62 Einerseits relativiert der Zusammenhang von
Ordnung und Chaos des Marktes jene Makromacht, die der Nationalsozialismus
für sich in Anspruch nahm. Andererseits fokussiert er auf die Mikromacht, die
die Beherrschten aufeinander und gegenüber den Herrschenden ausübten. Eine
Arena, in der diese Perspektive einiges zu erhellen vermag, eröffnete die ländliche
Schattenwirtschaft.
7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess
Der Ort, an dem die ländliche Schattenwirtschaft in den amtlichen Blick rückte,
war das Sondergericht. Sondergerichtsverfahren zu Verstößen gegen das kriegs-
wirtschaftliche Regelwerk beleuchten die Grauzonen ländlichen Wirtschaftens.
Die Basis dafür bilden 131 Kriegswirtschaftsverfahren vor Sondergerichten im
Oberlandesgerichtsbezirk Wien mit 206 Schuldsprüchen gegen landwirtschaftlich
Beschäftigte aus Niederdonau 1940 bis 1945.63 Freilich folgen die Sondergerichts-
akten zunächst den Perspektiven der Polizei- und Justizbehörden. Die Amtsorgane
trachteten danach, die ins Visier geratenen Akteure auf die Positionen des Rechts-
diskurses – den „Kriegsschieber“ und dessen Spielarten64 – zu beziehen. Doch das
amtliche Streben nach Erhellung dessen, was zunächst im Dunkeln lag, lässt an-
satzweise auch die Perspektiven der übrigen Verfahrensbeteiligten erkennen. Die
Verdächtigen, Angeklagten und Verurteilten bezogen – teils unmittelbar, teils ver-
mittels ihrer Rechtsvertreter
– durch ihre Aussagen selbst Position. Gewiss folgten
die Aussagen vor Polizei- und Gerichtsorganen meist dem Kalkül, der drohenden
back to the
book Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945"
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937