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472 Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“
über weite Strecken bestimmte. Die totalitäre Vision der „Erziehung“ des ‚fleißi-
gen‘ und ‚frommen‘ zum ‚produktiven‘ und ‚völkischen‘ Bergbauern stieß zwar an
der gesellschaftlichen Realität an äußere und innere Grenzen ; doch der darüber
konstruierte virtual farmer265 markierte einen Fluchtpunkt bäuerlicher Fremd- und
Selbstentwürfe weit über das Ende des „Dritten Reiches“ hinaus.
5.5 Kapitaleinsatz vor Ort
Wie bei der Arbeitskraft hatte die Landwirtschaft auch beim Betriebskapital eine
mächtige Konkurrentin : die Rüstungsindustrie des Deutschen Reiches, die seit
Beginn der „Blitzkriege“ 1939, vor allem seit dem Übergang zum Abnützungs-
krieg 1941/42 mehr und mehr Ressourcen beanspruchte. Um- und Neubauten von
Betriebsgebäuden sowie die Herstellung von Mineraldünger und Landmaschinen
nahmen knappe, daher wertvolle Arbeitszeit und Rohstoffe in Anspruch. Trotz des
Konkurrenzverhältnisses zur Rüstungsindustrie galt aber auch die Landwirtschaft
als „kriegswichtiger“, weil für die Ernährung der Militär- und Zivilbevölkerung
unverzichtbarer Wirtschaftszweig.266 Wie sich nach dem Kriegsbeginn der Ein-
satz an Betriebskapital veränderte, zeigen die Buchführungsergebnisse der Landes-
bauernschaft Donauland in den Wirtschaftsjahren 1938/39 und 1939/40 (Tabelle
5.19). Der gesamte Kapitalbesatz, in dem auch die Kulturflächen enthalten waren,
stieg im Pannonischen Flach- und Hügelland, einschließlich der Weinbaugebiete,
sowie im Hügelland südlich der Donau an. Abgesehen vom Pannonischen Flach-
und Hügelland, wo aufgrund des enormen Flächenzuwachses die Kapitalintensität
abnahm, wurde in diesen Produktionsgebieten auch der Kapitaleinsatz pro Flä-
cheneinheit gesteigert. Im Flachland südlich der Donau sank der Kapitaleinsatz
in absoluten Werten, während er in relativer Hinsicht leicht anstieg – ein Aus-
druck des Rückgangs der Nutzflächen. In den beiden Berglandgebieten zeigte der
Kriegsbeginn die geringsten Auswirkungen auf den Kapitaleinsatz ; nur die Kapi-
talintensität legte hier leicht zu.
Ein Blick auf die einzelnen Kapitalarten lässt regionale Gemeinsamkeiten
und Unterschiede noch deutlicher erkennen. Allerdings sind die Gebäudewerte
nicht bezifferbar, weil sie mit dem Wert der Boden- und Pflanzenbestände zu-
sammengezählt wurden ; zudem stammten die Bewertungen aus der Zeit vor dem
„Anschluss“, entsprachen daher nicht mehr den aktuellen Verkehrswerten.267 Die
gesamten Maschinenwerte legten in den Flach- und Hügellandregionen – abge-
sehen vom Flachland südlich der Donau – innerhalb nur eines Jahres enorm zu,
was auf einen Mechanisierungsschub im östlichen Niederdonau schließen lässt ;
auch die Viehbestände zeigten dort eine steigende Tendenz. Wegen der Ab- oder
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937