Web-Books
in the Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Geschichte
Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Page - 44 -
  • User
  • Version
    • full version
    • text only version
  • Language
    • Deutsch - German
    • English

Page - 44 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945

Image of the Page - 44 -

Image of the Page - 44 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945

Text of the Page - 44 -

44 Anatomie eines „lebenden Organismus“ Wie die Einführung von Hofkarte und Kreiswirtschaftsmappe zeigt, befand sich die deutsche Agrarstatistik wie die Statistik anderer Wirtschaftszweige des Deutschen Reiches und, darüber hinaus, anderer Staaten mit planwirtschaftlicher Steuerung Ende der 1930er Jahre im Umbruch : Das „System der zentralen, ano- nymisierten Großstatistik“ sollte durch ein „hierarchisch gegliedertes System der individuellen Beobachtung“ ersetzt werden.43 Das dafür nötige Instrument bildete ein Verwaltungsapparat, der parallel zum Statistischen Reichsamt in Gestalt des Reichsnährstandes die Erfassung und Auswertung der statistischen Daten organi- sierte  – ein Ausdruck der Gewichtsverlagerung vom gesetzlich gebundenen Nor- men- zum willkürlichen Maßnahmenstaat im nationalsozialistischen „Doppel- staat“ gegen Ende der 1930er Jahre.44 Daraus folgte eine immense Beschleunigung des Umlaufs agrarstatistischen Wissens und damit der politisch-ökonomischen Entscheidungsabläufe. Monate oder gar Jahre vor der Drucklegung der Ergeb- nisse der amtlichen Agrarstatistik waren entsprechende Daten auf betrieblicher, regionaler oder nationaler Ebene für die damit befassten Dienststellen verfügbar ; zudem konnten Daten, die aus dem amtlichen Erhebungsprogramm fielen, bin- nen kurzer Zeit erhoben werden. So bilanzierte ein führender Agrarstatistiker des Reichsnährstandes 1938 : „Wer hätte es noch vor sechs Jahren überhaupt möglich und notwendig gehalten, jeden einzelnen Getreideverkauf jedes einzelnen Betrie- bes zu erfassen und ihn im Hinblick auf den einzelnen Betrieb wie auch auf die Gesamtversorgungslage auszuwerten. […] Heute ist die für jeden Getreideverkauf des Erzeugers ausgefüllte Ablieferungsbescheinigung und ihre systematische Aus- wertung eine Selbstverständlichkeit“45  – eine Selbstverständlichkeit, die sich nicht von selbst verstand, sondern aus dem Verständnis des ‚nationalen Hofes‘ als orga- nisches Ganzes folgte. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung Der Hof stellte keine bloße Gegebenheit dar, sondern wurde in der Zwischen- kriegszeit als ganzheitlicher Organismus konstruiert. Die Agrarstatistik als Dis- positiv des agronomischen Diskurses bildete den ‚nationalen Hof‘ nicht einfach ab, sondern entwarf ihn, um das Ganze und dessen Teile vermessen und steuern zu können. Wir können zwar dem Agrarstatistiker nicht einfach über die Schul- ter schauen, um einen direkten Blick auf dessen Gegenstand zu erhaschen ; doch vermögen wir uns indirekt, gleichsam durch dessen Brille, Über- und Einblicke zu verschaffen. Dafür stehen neben den Auswertungen von Buchführungserhe- bungen46 und der Hofkarte47 die Ergebnisse der landwirtschaftlichen Betriebszäh- lung48 zur Verfügung.
back to the  book Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945"
Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
Web-Books
Library
Privacy
Imprint
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Schlachtfelder