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Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
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1.3 Auto/Biographische Quellen | 73 Arno Dusini zu sprechen, ein zentraler „Topos der Rede über das Tagebuch“116 – vom monologischen Charakter des Tagebuchs. Dem entgegenhaltend verweist die neuere Forschung, und dies wurde erst durch den Blick auf die Praxis des Tage- buchschreibens möglich, auf die Dialoghaftigkeit des Tagebuchschreibens. Sei es, dass das Tagebuch konkret für eine bestimmte andere Person geschrieben wird, sei es, dass es für eine spätere Öffentlichkeit geschrieben wird oder sei es nur, dass sich das Tagebuchschreiben als „Dialog des Schreibers mit seinem Schreiben“117 erweist, in jedem Fall zeigt sich der Prozess des Schreibens als eine Auseinandersetzung mit einem wie auch immer gearteten Gegenüber. „Liebe Kitty“ lautet die Anrede im wohl berühmtesten Tagebuch der Geschichte, jenem des Mädchens Anne Frank. Es verdeutlicht die Selbstständigkeit des imaginierten Gegenübers, dass viele Tage- buchschreiberInnen ihrem „Dialogpartner“ einen Namen geben, auch wenn es nur mittels der Anrede „Liebes Tagebuch“ geschieht.118 Der Blick auf die Praxis des Tagebuchschreibens erweitert auch die Breite der zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten durch die Quelle. Die Beachtung des Prozesses des Tagebuchschreibens eröffnet beispielsweise die Erkenntnis, dass TagebuchschreiberInnen meist auch TagebuchleserInnen sind, was wiederum ihr Schreiben beeinflusst. Viele TagebuchautorInnen lesen regelmäßig ihre alten Ein- träge, eine Praxis, die unmittelbare Auswirkung auf das neu Geschriebene hat.119 Die Praxis der „Relektüre“ der eigenen Tagebücher ist auch für den Künstler Aloys Wach nachzuweisen. In einem unveröffentlichten Text des Künstlers, überschrieben mit dem Titel „Das Tagebuch“, reflektierte er die Lektüre seiner Tagebuchblätter, die er rückblickend als „sonderbares Lebensbuch“ betitelte: „Da liegt vor mir ein Pack beschriebenes Papier. Beschwingt flüchtige Handschrift fügte zierlich Satz um Satz. Ich blättere. Seite nach Seite ist mit den klaren Schriftzügen engge- fügt, fast so, als ob diese vielen vielen Seiten auf einen Sitz hingeschrieben worden wären: Ich lese, mit Interesse. Das immer größer wird. Es ist, als ob eine lebendig tönende Stimme aus den Worten aufstiege und selbst spräche: so ungeheuer lebenswahr wird Satz und Sinn. […] Eine einprägsame Darstellung des Inhalts dieses sonderbaren Lebensbuches kann ich mit aller Mühe nicht vermitteln.“120 116 Dusini, Tagebuch, 68. 117 Dusini, Tagebuch, 69. 118 Vgl. dazu auch den Titel des Sammelbands Philippe Lejeune, „Liebes Tagebuch“. Zur Theorie und Praxis des Journals. Hg. von Lutz Hagestedt, München 2014. 119 Vgl. dazu auch Seifert, Tagebuchschreiben als Praxis. 120 Aloys Wach, Das Tagebuch, unveröff. Manuskript. Auch an anderen Stellen von Aloys Wachs Ta- gebuch lässt sich die Praxis der beeinflussenden Relektüre nachweisen. Wie bei Seifert beschrieben Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
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Zeitwesen Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
Title
Zeitwesen
Subtitle
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
Author
Birgit Kirchmayr
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2020
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-23310-7
Size
17.3 x 24.5 cm
Pages
468
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. Einleitung 11
  2. Fragestellung und Ausgangsthesen 11
  3. Theoretische Bezugsrahmen 14
  4. Quellen 17
  5. „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
  6. 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
    1. 1.1 Auto/Biographieforschung 33
      1. 1.1.1 Lebenslauf, Biographie, Autobiographie oder Auto/Biographie? 34
      2. 1.1.2 Auto/Biographie und Geschichtswissenschaft 39
      3. 1.1.3 Auto/Biographie und Geschlecht 47
    2. 1.2 Künstlerauto/biographie 51
      1. 1.2.1 Von Vasaris Viten bis „Inventing Leonardo“: Zur Geschichte der Künstlerbiographik 51
      2. 1.2.2 „Biographische Formeln“: Die „Legende vom Künstler“ 54
      3. 1.2.3 Geniekonzept und Autobiographical Life 59
    3. 1.3 Auto/Biographische Quellen 63
      1. 1.3.1 Autobiographie 65
      2. 1.3.2 Brief 66
      3. 1.3.3 Tagebuch 72
  7. 2 KünstlerInnen über sich 79
    1. 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
      1. 2.1.1 Der Künstler, sein Archivar und sein Nachlass 80
      2. 2.1.2 Die Autobiographie „Aus meinem Leben“ (1911–1952) 83
    2. 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
      1. 2.2.1 Der Künstler als Erzähler 105
      2. 2.2.2 Die Autobiographie „Mein Leben“ (1971) 109
    3. 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
      1. 2.3.1 Autobiographisches in Tagebüchern und Briefen 136
      2. 2.3.2 „Biographische Notizen“ (1929) 138
    4. 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
      1. 2.4.1 Erklärungen zu einem Negativbefund 150
      2. 2.4.2 Die „Klessheimer Sendboten“ (1927) 154
    5. 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
      1. 2.5.1 Versuch einer Verweigerung 164
      2. 2.5.2 Der „Lebensbericht“ (1968) 166
    6. 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
  8. 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
    1. 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
      1. 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
      2. 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
      3. 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
      4. 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
    2. 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
      1. 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
      2. 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
      3. 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
      4. 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
    3. 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
      1. 3.3.1 Alfred Kubin: Von der Ariosophie zum Buddhismus 277
      2. 3.3.2 Aloys Wach, die Kabbala und Jesus Christus als „Okkultist“ . . . . . . . 284 Exkurs: Die „Affäre Schappeller“ 291
    4. 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
  9. 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
    1. 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
    2. 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
      1. 4.2.1 Kubin, der Krieg und das Ende der „alten Ruhe“ 321
      2. 4.2.2 „Ich bin so froh, dass ich noch lebe“: Oskar Kokoschka und der Erste Weltkrieg 328
    3. 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
      1. 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
      2. 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
      3. 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
      4. 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
    4. 4.4 Nationalsozialismus 382
      1. 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
      2. 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
      3. 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
      4. 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
    5. 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
  10. Dank 426
  11. Abkürzungsverzeichnis 428
  12. Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
  13. Quellen- und Literaturverzeichnis 431
  14. Archive und Sammlungen 431
  15. Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
  16. Literatur und gedruckte Quellen 432
  17. Personenregister 463
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