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„Plötzlich stürzte Walter Neurath ins Zimmer und rief: ‚Wie, Kokoschka kommt zu mir,
statt daß ich Sie auf suche?‘ Es war das erstemal, daß OK wieder so behandelt wurde, wie
er es von früher gewohnt war. Für Walter Neurath war er eben nicht irgendein Bittsteller,
sondern der berühmte Kokoschka.“173
Nur angedeutet wurden durch diese indirekte Wiedergabe, in Form der Aufzeich-
nungen seiner Frau, die Schwierigkeiten, die der Emigrant Kokoschka hinsichtlich
seiner Anerkennung im fremden Land erleben musste. Eine kurze, in der Art der
Formulierung aber interessante Erwähnung fand schließlich noch seine Eheschlie-
ßung: „Im Jahre 1941 heiratete Olda mich.“174
Es folgt eine Darstellung zu den „politischen“ Bildern, die Kokoschka in den Lon-
doner Jahren gemalt hat175: „Das rote Ei“, „Alice im Wunderland“, das den „An-
schluss“ Österreichszum Inhalt hat, „Die Loreley“, „Marianne-Maquis“ und schließ-
lich „What we are fighting for“, das er rückblickend als „am meisten ernstgemeint“
einstufte. Aus dem Typoskript der ersten Fassung der Autobiographie geht hervor,
dass Kokoschka zu seinen „politischen Bildern“ nicht viel sagen wollte, zumindest
nicht so wie es sein Gesprächspartner Remigius Netzer wollte.176 Kokoschka ging es
vielmehr darum, den Hintergrund und die Art seiner politischen Statements und
Bildern zu erläutern und sie von einem „herkömmlichen“ politischen Aktivismus
abzugrenzen:
„Ich malte damals eine Reihe von ‚politischen‘ Bildern, nicht weil ich politisch engagiert
gewesen wäre, sondern in der Absicht, die Augen anderer zu öffnen dafür, wie ich den
Krieg sah. […] Ich sage nochmals: Diese Bilder malte ich nicht, weil ich mich politisch in
der oder jener Richtung engagiert fühlte.“177
173 Kokoschka, Mein Leben, 249 f.
174 Kokoschka, Mein Leben, 250. Im Typoskript der ersten Fassung der Autobiographie finden sich
zur Hochzeit noch von Olda Kokoschka offenbar im Gespräch mit Remigius Netzer dargebrachte
Erinnerungen. Es heißt: „Ende 1942 haben wir geheiratet – aus polizeilichen, amtlichen Gründen,
weil nämlich jeder, der nicht verheiratet war, mußte arbeiten – alle Frauen. Da ich, Olda, aber
gleichzeitig auch andere Sachen tuen sollte, war es natürlich etwas schwierig. […] Nach der amt-
lichen Hochzeit – OK war ja nie besonders fürs Feiern, und die Kriegszeiten waren ja auch nicht
dazu angetan – sind wir ins Kino.“ ZBZ, NL F. Witz, Karton 81, Fasz. 81.14, fol. 16.
175 Vgl. zu den genannten Gemälden Patrick Werkner, In London: Die ‚politischen‘ Bilder Kokosch-
kas, in: Gloria Sultano/Patrick Werkner (Hg.), Oskar Kokoschka. Kunst und Politik 1937–1950,
Wien 2003, 177–212.
176 ZBZ, NL F. Witz, Karton 81, Fasz. 81.14, fol. 16 ff. Zum Bild „Alice im Wunderland“ wurde im
Typoskript von Remigius Netzer notiert: „kaum etwas darüber erwähnt“.
177 Kokoschka, Mein Leben, 250f.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463