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2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen | 173
chen Problemen der Zeit kämpfte, die gerade entstandenen Kontakte und Erfolge
waren zumindest für eine Zeit wieder stillgelegt.
Bilger setzte den Bericht fort mit ihrer Ausstellung von 1949 in der Wiener Al-
bertina, ihr erster großer Erfolg in Österreich, gleichzeitig starb der ihr sehr nahe-
stehende Vater, ein Tod, „der aber mir so viel mehr Friede hinterließ als Trauer.“ Es
folgte die Beschreibung des „Rufes in das Stift Schlierbach“, wo sie ihren Weg als
Gestalterin von Kirchenglasfenstern finden sollte – sie beschrieb dies weniger „bio-
graphisch“ als vielmehr von der künstlerischen Materialität ausgehend:
„Das leuchtende Glas zusammen mit der grafischen Struktur des Bleis und Schwarzlots
kam mir ungemein entgegen. Die Farbe belebte zu einer fast gegenseitigen Durchleuch-
tung und führte schließlich zu einem ganz freien Spiel.“289
Ebenso wie beim „Holzriss“ wurde nun auch die zweite zentrale künstlerische Wei-
chenstellung, die Entscheidung für die Technik der Glasmalerei, ausführlich künst-
lerisch beschrieben und als Zäsur in der Biographie positioniert. Es folgte die Begeg-
nung mit dem Künstler Hans Breustedt, den Bilger im Jahr 1953 heiratete und mit
dem sie bis zu ihrem Tod zusammenlebte. Von der Heirat berichtete sie im Lebens-
bericht nicht, die Darstellung von Breustedt bleibt vielmehr kryptisch, aber auch
fast sakral:
„Breustedt eben durch schwerste persönliche Opfer hindurchgegangen: Er hat sie wie Gold
im Feuerofen erprobt und wie Brandopfer angenommen (Psalm) – fand ich gläubig und
still in einer Dachkammer weiterarbeitend. Das gesundete mich. Es war die Rettung.“290
Hans Breustedts erste Frau Sofia war 1942 in Treblinka ermordet worden.291 Über
den Kontakt zu Breustedt wurde auch Bilger erstmals intensiver mit dem Holocaust
konfrontiert, ihre Einstellung zum Nationalsozialismus wurde durch diese Bezie-
hung noch einmal geschärft. Anstelle einer „prosaischen“ Beschreibung ihrer Be-
ziehung zu Breustedt findet sich im Lebensbericht ein kurzes vierzeiliges Gedicht
und unmittelbar daran anschließend folgte ohne Überleitung etwas überraschend
der Satz:
289 Bilger, Lebensbericht, 28.
290 Bilger, Lebensbericht, 28.
291 Vgl. Sofia Breustedt/Hans Joachim Breustedt, An Marysia. Eine Familiengeschichte in Briefen.
1935–1950. Hg. von Helga Hofer, Salzburg 2015.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463