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Diskurse184
innen des männlichen Künstlers16 – hatten sie mit einem scharfen, in seiner Inten-
sität erschreckend frauenfeindlichen Gegenwind zu rechnen. Was für künstlerisch
agierende Frauen erschwerend hinzukam, war das mythengespeiste Bild des Künst-
lers, das in seiner gesamten Ausprägung ein explizit männliches war und Frauen
keinerlei Identifikations- und Integrationsmöglichkeit bot.17
Nicht nur in Österreich ergab sich daraus die Situation, dass die Zahl bilden-
der Künstlerinnen im frühen 20. Jahrhundert wesentlich geringer war als jene der
männlichen Künstler. Bis 1918 blieb Frauen das Studium an der Akademie verwehrt,
in für Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit wichtigen Kunstvereinen waren Frauen
teils noch in den 1930er-Jahren nicht zugelassen.18 Das bereits in der Einleitung
zitierte lexikalische Werk über österreichische MalerInnen der Geburtsjahrgänge
1880–1900 weist einen Frauenanteil von 24 Prozent auf.19
Anhand der auto/biographischen Selbstdarstellungen von Alfred Kubin, Oskar
Kokoschka, Margret Bilger und Erika Giovanna Klien werden im Folgenden die
Strategien untersucht, mittels derer die ProtagonistInnen sich in den zeitgenössi-
schen Geschlechterdiskursen selbst verankert bzw. diese mitkonstituiert haben.20
In der chronologischen Betrachtung kann gleichzeitig eine Entwicklung und Ver-
änderung, aber auch die lange Wirksamkeit weit zurückreichender Geschlechterzu-
schreibungen beobachtet werden.
16 Gerade jüngst wieder am Beispiel von Adolf Loos dargestellt bei Lisa Fischer, Mit Frauen bauen.
Das nützliche Beziehungsmuster eines antimodernen Ehemanns, in: Markus Kristan/Sylvia Mattl-
Wurm/Gerhard Murauer (Hg.), Adolf Loos. Schriften, Briefe, Dokumente aus der Wienbibliothek
im Rathaus, Wien 2018, 233–244.
17 Vgl. Verena Krieger, Was ist ein Künstler? Genie – Heilsbringer – Antikünstler. Eine Ideen- und
Kunstgeschichte des Schöpferischen, Köln 2007, 129 ff.
18 Zu den geschlechtsspezifischen Voraussetzungen für Künstlerinnen in Österreich im frühen
20. Jahrhundert vgl. die umfassende Studie von Sabine Plakolm-Forsthuber, Künstlerinnen in Ös-
terreich 1897–1938. Malerei, Plastik, Architektur, Wien 1994.
19 Heinrich Fuchs, Die österreichischen Maler der Geburtsjahrgänge 1881–1900, Wien 1976, 1977.
Von 1589 darin angeführten MalerInnen sind 388 Frauen, das ergibt 24,4 Prozent (eigene Zäh-
lung). Wie bereits in der Einleitung bemerkt, kann eine solche Zahl nur als Richtwert dienen, da
gerade kunsthistorische Standardwerke oder Lexika Teil der mangelnden Berücksichtigung von
Frauen waren/sind. Erika Giovanna Klien beispielsweise fand im genannten Werk keine Erwäh-
nung. Ebenfalls zu Ungunsten der Künstlerinnen fiel die Verteilung von Abbildungen im genann-
ten Werk aus: Von 751 abgebildeten Werken stammen 110 von Frauen, das ist ein Anteil von 14,6
Prozent (eigene Zählung).
20 Von Aloys Wach liegt dazu zu wenig aussagekräftiges Material vor. Die wenigen Aussagen (z.B.
in den Tagebüchern) lassen auf ein zeittypisch-traditionelles Geschlechterbild mit einer starken
Verehrung einer mütterlichen Weiblichkeit schließen.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463