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Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
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| 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse212 den im Trend der Zeit und bilden wie bereits einleitend dargestellt einen wichtigen Topos der Fin-de-Siècle-Kultur. Mit Amazonen und Matriarchatsmythen beschäftigte sich zeitgenössisch auch die Wiener Schriftstellerin Bertha Eckstein-Diener. Unter ihrem Pseudonym Sir Gala- had verfasste sie 1932, inspiriert von Bachofen, das Werk „Mütter und Amazonen“.110 1910 war Eckstein-Diener von Kokoschka porträtiert worden. (Abb. 17) Sowohl in Kokoschkas Autobiographie wie auch in der autobiographischen Erzählung „Erste Reise in die Schweiz“ führte Kokoschka diese Episode aus, wobei Bertha Eckstein- Diener darin selbst zur Amazone geriet. Eckstein-Diener hatte sich 1904 von ihrem Mann Fritz Eckstein informell getrennt, der gemeinsame Sohn blieb beim Vater. Nach mehreren Jahren auf Reisen zog Eckstein-Diener 1909 in die Schweiz zu ih- rem Geliebten Theodor Beer, der einige Jahre zuvor unter großer Aufmerksamkeit in Wien wegen eines Sittlichkeitsvergehens verurteilt worden war. 1909 wurde die Ehe von Friedrich und Bertha Eckstein geschieden, ein Scheidungsvertrag machte das Besuchsrecht zu ihrem Sohn von ihrem „einwandfreien“ Lebenswandel abhän- gig, d.h. die Beziehung zu Beer musste verheimlicht werden. Im Dezember 1910 wurde der gemeinsame Sohn mit Beer, Roger, geboren, den sie zu Pflegeeltern geben musste, da sie sich mit Beer nicht auf eine Eheschließung einigen konnte.111 1910 stieß Oskar Kokoschka in diese komplexe Gemengelage in der Schweiz, in der auch Beers Architekt und Kokoschkas Förderer Adolf Loos sowie dessen damalige Le- bensgefährtin Bessie Bruce eine Rolle spielten.112 In Kokoschkas Erzählung „Erste Reise in die Schweiz“ schreibt er über Bertha Eckstein-Diener: „Die Dame, die ich malen sollte, war eine Anhängerin der Rudolf Steiner-Sekte. Schon als ich hinkam, war mir nicht ganz geheuer. [...] Sie schüttete mir kurz und gut ihr Herz aus, ihre Beängstigungen und Leiden, und entpuppte sich bald als die Nachfolgerin der Ma- dame Potiphar113. Ich hatte Angst vor ihr. Was sollte ich tun? Ich hatte ihr Bild zu malen begonnen. Wenn sie mir zu nahe kam, habe ich mich nur mit Preußischblau verteidigen 110 Sir Galahad (Berta Eckstein-Diener), Mütter und Amazonen. Ein Umriss weiblicher Reiche, Mün- chen 1932. 111 Vgl. Sibylle Mulot-Déri, Sir Galahad. Porträt einer Verschollenen, Frankfurt am Main 1987 sowie Eckstein-Dieners autobiographischen Roman Die Kegelschnitte Gottes, München 1932. 112 Vgl. dazu auch Reinhold, Adolf Loos und Oskar Kokoschka, 276  f. 113 „Madame Potiphar“ geht zurück auf die biblische Josefserzählung, in der die Frau des hohen ägyp- tischen Beamten Potiphar den jungen und hübschen Juden Josef, nachdem er ihre sexuellen Avan- cen zurückgewiesen hatte, aus verschmähter Liebe einer angeblichen Vergewaltigung beschuldigte. Zu Kokoschkas Lebzeiten gehörte diese Geschichte zum kulturellen Allgemeingut und konnte damit leicht dechiffriert werden. Vgl. z.B. den von den „Comedian Harmonists“ 1934 aufgenom- menen Schlager „In der Bar zum Krokodil“, nach einem Text von Fritz Löhner-Beda, wo es heißt: Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
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Zeitwesen Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
Title
Zeitwesen
Subtitle
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
Author
Birgit Kirchmayr
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2020
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-23310-7
Size
17.3 x 24.5 cm
Pages
468
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. Einleitung 11
  2. Fragestellung und Ausgangsthesen 11
  3. Theoretische Bezugsrahmen 14
  4. Quellen 17
  5. „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
  6. 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
    1. 1.1 Auto/Biographieforschung 33
      1. 1.1.1 Lebenslauf, Biographie, Autobiographie oder Auto/Biographie? 34
      2. 1.1.2 Auto/Biographie und Geschichtswissenschaft 39
      3. 1.1.3 Auto/Biographie und Geschlecht 47
    2. 1.2 Künstlerauto/biographie 51
      1. 1.2.1 Von Vasaris Viten bis „Inventing Leonardo“: Zur Geschichte der Künstlerbiographik 51
      2. 1.2.2 „Biographische Formeln“: Die „Legende vom Künstler“ 54
      3. 1.2.3 Geniekonzept und Autobiographical Life 59
    3. 1.3 Auto/Biographische Quellen 63
      1. 1.3.1 Autobiographie 65
      2. 1.3.2 Brief 66
      3. 1.3.3 Tagebuch 72
  7. 2 KünstlerInnen über sich 79
    1. 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
      1. 2.1.1 Der Künstler, sein Archivar und sein Nachlass 80
      2. 2.1.2 Die Autobiographie „Aus meinem Leben“ (1911–1952) 83
    2. 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
      1. 2.2.1 Der Künstler als Erzähler 105
      2. 2.2.2 Die Autobiographie „Mein Leben“ (1971) 109
    3. 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
      1. 2.3.1 Autobiographisches in Tagebüchern und Briefen 136
      2. 2.3.2 „Biographische Notizen“ (1929) 138
    4. 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
      1. 2.4.1 Erklärungen zu einem Negativbefund 150
      2. 2.4.2 Die „Klessheimer Sendboten“ (1927) 154
    5. 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
      1. 2.5.1 Versuch einer Verweigerung 164
      2. 2.5.2 Der „Lebensbericht“ (1968) 166
    6. 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
  8. 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
    1. 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
      1. 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
      2. 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
      3. 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
      4. 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
    2. 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
      1. 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
      2. 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
      3. 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
      4. 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
    3. 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
      1. 3.3.1 Alfred Kubin: Von der Ariosophie zum Buddhismus 277
      2. 3.3.2 Aloys Wach, die Kabbala und Jesus Christus als „Okkultist“ . . . . . . . 284 Exkurs: Die „Affäre Schappeller“ 291
    4. 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
  9. 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
    1. 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
    2. 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
      1. 4.2.1 Kubin, der Krieg und das Ende der „alten Ruhe“ 321
      2. 4.2.2 „Ich bin so froh, dass ich noch lebe“: Oskar Kokoschka und der Erste Weltkrieg 328
    3. 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
      1. 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
      2. 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
      3. 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
      4. 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
    4. 4.4 Nationalsozialismus 382
      1. 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
      2. 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
      3. 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
      4. 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
    5. 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
  10. Dank 426
  11. Abkürzungsverzeichnis 428
  12. Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
  13. Quellen- und Literaturverzeichnis 431
  14. Archive und Sammlungen 431
  15. Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
  16. Literatur und gedruckte Quellen 432
  17. Personenregister 463
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