Web-Books
in the Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Kunst und Kultur
Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
Page - 237 -
  • User
  • Version
    • full version
    • text only version
  • Language
    • Deutsch - German
    • English

Page - 237 - in Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945

Image of the Page - 237 -

Image of the Page - 237 - in Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945

Text of the Page - 237 -

3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus | 237 den, im Folgenden soll auf seinen autobiographisch inspirierten Roman „Die andere Seite“ fokussiert werden.183 „Die andere Seite“, erschienen 1909, gilt heute als ein Hauptwerk der deutschspra- chigen Phantastik. Es geht darin, kurz gefasst, um ein geheimnisvolles „Traumreich“, in das der Ich-Erzähler, unschwer als Alter Ego Kubins zu dechiffrieren, von dem Gründer des Reichs, seinem ehemaligen Schulfreund Claus Patera, eingeladen wird. In Perle, der Hauptstadt des Reichs, leben die Traummenschen. Geheimnisvolle Zu- stände prägen das Land, das in Zentralasien verortet wird und das sich gegen jeg- lichen Fortschritt und alle Ausprägungen der Moderne hermetisch abschließt. Mit der Ankunft des Amerikaners Herkules Bell erhält Patera als Herrscher des Traum- reichs einen Widersacher, in einem alptraumhaften Szenario geht das Traumreich zugrunde, der Ich-Erzähler gehört zu den wenigen Überlebenden. In die hier nur knapp skizzierten Rahmenbedingungen des phantastischen Ro- mans sind zahlreiche Diskursstränge verwoben, die nicht zuletzt aufgrund der vie- len intertextuellen Bezüge zu umfangreichen Interpretationen einladen. Clemens Ruthner skizzierte elf (!) solcher möglicher Interpretationsrahmen, in die der Text entweder bereits eingeordnet wurde oder denen er zugeordnet werden könne.184 Die gängigste interpretatorische Lesart war und ist, „Die andere Seite“ psychoanalytisch als Vater-Roman zu deuten. Tatsächlich hat Kubin den Roman nach dem Tod sei- nes Vaters als Reaktion auf eine künstlerische Schaffenskrise geschrieben, und allein mit der Namenswahl der beherrschenden Figur im Roman – Patera – ist der Bezug zur Vaterbeziehung gegeben.185 Darüber hinaus bieten sich aber weitere Ebenen zur 183 Zu den auto/biographischen Bezügen im Text vgl. u.a. Johann Lachinger, Österreichische Phantas- tik? Trauma und Traumstadt. Überlegungen zu Kubins biographisch-topographischen Projektio- nen im Roman ‚Die andere Seite‘, in: Winfried Freund/Johann Lachinger/Clemens Ruthner (Hg.), Der Demiurg ist ein Zwitter. Alfred Kubin und die deutschsprachige Phantastik, München 1999, 121–130. 184 Vgl. Clemens Ruthner: Traum(kolonial)reich. Die andere Seite als literarische Versuchsstation des k.  u.  k. Weltuntergangs, in: Peter Assmann (Hg.): Alfred Kubin und die Phantastik. Ein aktueller Forschungsrundblick, Wetzlar 2011, 78–102, 87  ff. 185 Auf die Analogie Pater (lat. Vater) und Patera verweisen eine Reihe von RezensentInnen, erstmals wurde der Zusammenhang in einer zeitgenössischen psychoanalytischen Rezension betont, vgl. Hanns Sachs, Die andere Seite. Ein phantastischer Roman mit 52 Zeichnungen von Alfred Kubin, in: Imago. Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 1 (1912), Heft 1, 197–204. Aus einem Brief Kubins an den jungen tschechischen Künstler František Holešovský geht hervor, dass Kubin diese Interpretationen bekannt waren, der eigentliche Namensgeber für Patera allerdings ein Jugendbekannter Kubins war: „Der Name Patera im Čechischen ist mir natür- lich bekannt. Die Hauptgestalt meiner Geschichte erhielt ihren Namen vom Träger eines solchen čechischen – genau wie es zu Anfang der Erzählung heisst: ‚Unter meinen Jugendbekannten usw‘, war es in der Wirklichkeit auch. […] Unbewußt damals war mir der tiefere Sinn im Lateinischen Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
back to the  book Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945"
Zeitwesen Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
Title
Zeitwesen
Subtitle
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
Author
Birgit Kirchmayr
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2020
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-23310-7
Size
17.3 x 24.5 cm
Pages
468
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. Einleitung 11
  2. Fragestellung und Ausgangsthesen 11
  3. Theoretische Bezugsrahmen 14
  4. Quellen 17
  5. „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
  6. 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
    1. 1.1 Auto/Biographieforschung 33
      1. 1.1.1 Lebenslauf, Biographie, Autobiographie oder Auto/Biographie? 34
      2. 1.1.2 Auto/Biographie und Geschichtswissenschaft 39
      3. 1.1.3 Auto/Biographie und Geschlecht 47
    2. 1.2 Künstlerauto/biographie 51
      1. 1.2.1 Von Vasaris Viten bis „Inventing Leonardo“: Zur Geschichte der Künstlerbiographik 51
      2. 1.2.2 „Biographische Formeln“: Die „Legende vom Künstler“ 54
      3. 1.2.3 Geniekonzept und Autobiographical Life 59
    3. 1.3 Auto/Biographische Quellen 63
      1. 1.3.1 Autobiographie 65
      2. 1.3.2 Brief 66
      3. 1.3.3 Tagebuch 72
  7. 2 KünstlerInnen über sich 79
    1. 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
      1. 2.1.1 Der Künstler, sein Archivar und sein Nachlass 80
      2. 2.1.2 Die Autobiographie „Aus meinem Leben“ (1911–1952) 83
    2. 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
      1. 2.2.1 Der Künstler als Erzähler 105
      2. 2.2.2 Die Autobiographie „Mein Leben“ (1971) 109
    3. 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
      1. 2.3.1 Autobiographisches in Tagebüchern und Briefen 136
      2. 2.3.2 „Biographische Notizen“ (1929) 138
    4. 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
      1. 2.4.1 Erklärungen zu einem Negativbefund 150
      2. 2.4.2 Die „Klessheimer Sendboten“ (1927) 154
    5. 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
      1. 2.5.1 Versuch einer Verweigerung 164
      2. 2.5.2 Der „Lebensbericht“ (1968) 166
    6. 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
  8. 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
    1. 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
      1. 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
      2. 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
      3. 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
      4. 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
    2. 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
      1. 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
      2. 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
      3. 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
      4. 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
    3. 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
      1. 3.3.1 Alfred Kubin: Von der Ariosophie zum Buddhismus 277
      2. 3.3.2 Aloys Wach, die Kabbala und Jesus Christus als „Okkultist“ . . . . . . . 284 Exkurs: Die „Affäre Schappeller“ 291
    4. 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
  9. 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
    1. 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
    2. 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
      1. 4.2.1 Kubin, der Krieg und das Ende der „alten Ruhe“ 321
      2. 4.2.2 „Ich bin so froh, dass ich noch lebe“: Oskar Kokoschka und der Erste Weltkrieg 328
    3. 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
      1. 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
      2. 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
      3. 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
      4. 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
    4. 4.4 Nationalsozialismus 382
      1. 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
      2. 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
      3. 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
      4. 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
    5. 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
  10. Dank 426
  11. Abkürzungsverzeichnis 428
  12. Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
  13. Quellen- und Literaturverzeichnis 431
  14. Archive und Sammlungen 431
  15. Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
  16. Literatur und gedruckte Quellen 432
  17. Personenregister 463
Web-Books
Library
Privacy
Imprint
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Zeitwesen