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Diskurse302
hindern, dass Uneingeweihte Missbrauch und Unfug treiben können mit dem Buch, das
immerhin ein merkwürdiges Land öffnet.“385
Vermutlich bezieht sich Wach hier darauf, dass Éliphas Lévi die Karte „Der Narr“
nicht wie sonst üblich zu Beginn oder am Schluss, das heißt, als 1. oder 22. Karte,
sondern als vorletzte Karte, also als 21 (Schin), eingeordnet hat.386 Wie Eckhard Graf
schreibt, hat er damit einige Verwirrung in die Welt des Tarot gebracht.387 Tatsäch-
lich ist Geheimhaltung oder bewusste Verwirrung Prinzip esoterischer Lehrer wie
Lévi. In seinem Werk „Dogma und Ritual der hohen Magie“, dessen zweiter Band
gewissermaßen ein praktischer Anleitungsteil für die Umsetzung magischer Prakti-
ken ist, heißt es dazu:
„Man darf zu niemand über die Werke sprechen, die man unternimmt, und wie wir
schon im Dogma genügend betont haben, ist das Geheimnis die unbedingte und uner-
läßliche Bedingung für alle Operationen der Wissenschaft. Die Vorwitzigen muß man
irreführen.“388
Es muss wohl offenbleiben, ob Wachs Gleichsetzung von Schin mit der Zahl 22 ein
esoterischer Versuch der Verwirrung Uneingeweihter war oder schlicht und einfach
doch auf einem Missverständnis bzw. mangelnder Kenntnis des Hebräischen be-
ruhte. Für Wach hatte jedenfalls alles seine (kabbalistische) Richtigkeit und die Zahl
22 (im Hebräischen nicht Schin, sondern Taw) blieb für ihn seine besondere Schick-
salszahl. Immer wieder verwies er in verschiedenen unheilvollen Zusammenhängen
auf die 22. In seinem Tagebuch kam er mehrmals auf die „Schicksalszahl“ zurück,
die er sowohl mit seinem eigenen Schicksal als auch mit jenem der Republik Öster-
reich verband. Wach verwies darauf, sowohl selbst im Aszendenten 22 geboren zu
sein, wie auch die Republik Österreich unter diesem Aszendenten ausgerufen wor-
den sei, woraus sich eine „innige Kommunikation der Lebensereignisse“ ergebe.389
Erscheint auf den ersten Blick Wachs Buchtitel „Schin, der Herr der Zahl 22“
schlichtweg als skurril, ergibt sich bei Rückbeziehung auf die esoterische Populärkul-
tur der 1920er-Jahre und das Tarot durchaus Sinn. Diesen Rahmen benutzte Wach,
um mit Carl Schappeller abzurechnen. Dabei schonte er sich auch selbst nicht, das
Buch ist das Eingeständnis, einem Betrüger verfallen zu sein. Verpackt in eine oft
385 Aloys Wach, Tagebuchblätter ab 1933, Eintrag 19.2.1934. Hervorhebungen im Original.
386 Vgl. Graf, Mythos Tarot, 109.
387 Graf, Mythos Tarot, 109.
388 Levi, Dogma und Ritual der hohen Magie, 36.
389 Aloys Wach, Tagebuchblätter ab 1933, Eintrag 18.2.1934.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463