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| 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum
Nationalsozialismus380
und des politischen Hintergrunds als unabhängig dar, der Ton des Schreibens ist
allerdings im Vergleich zu anderen oft äußerst polemischen Statements Kokosch-
kas auffällig defensiv. Er hielt daran fest, seine Unabhängigkeit nicht verraten und
mit seinem bisherigen Lebensweg bereits oft genug bewiesen zu haben, dass er den
Grundsatz einhalte, wonach der „Künstler kein Opportunist“ sein dürfe:
„Sehr geehrte Mitglieder, obwohl Sie die Aufklärung über die Angelegenheit der
Kokoschka
feier direkt in Wien erlangen können, daß ich dieser selbstverständlich fern
stehe und Carl Moll der Anreger und Veranstalter der Ausstellung ist, möchte ich betonen,
daß jedermann, der an einer Ausstellung interessiert ist und die Garantien gegenüber den
Besitzern meiner Bilder übernimmt, die formale Berechtigung hat, eine solche zu veran-
stalten. […] Obwohl ich auf die Veranstaltung dieser Ausstellung keinerlei Ingerenz habe,
bin ich der Ansicht, daß eine Bilderausstellung als solche mich in meiner Gesinnung nicht
präjudiziert. [...] Ich habe meine Gesinnung, daß der Künstler kein Opportunist sein darf,
zu oft öffentlich und gegen meinen Vorteil bewiesen, als daß ich mir nun, wenn auch von
Freundesseite, solche Unterstellungen gefallen lassen möchte.“217
So ambivalent Kokoschkas Haltung gegenüber seiner Wiener Schau war,218 so ambi-
valent war auch die Haltung des offiziellen Österreichs. Gloria Sultano bewertet die
Entscheidung, dass die Ausstellung nicht vom zuständigen Bundesminister Hans
Pernter persönlich, sondern von einem „rangniedrigeren Delegierten“ eröffnet
wurde, als Ausdruck eines nur „halbherzigen“ Bekenntnisses zu Kokoschka.219 Der
eröffnende Delegierte des Ministeriums war allerdings keine unbedeutende Figur: Es
handelte sich um den bereits beschriebenen Hans Hammerstein-Equord, Mitglied
der Innviertler Künstlergilde, ständestaatlicher Bundeskommissar für Kulturpro-
paganda und ehemaliger Sicherheitsdirektor Oberösterreichs. Es ist zu bezweifeln,
dass Oskar Kokoschka den biographischen Hintergrund von Hans Hammerstein,
speziell seine Rolle in den Bürgerkriegstagen von 1934 kannte. Schließlich waren es
vor allem die Vorgänge von 1934, die – so zumindest Kokoschkas autobiographi-
sches Narrativ – seine Distanz zum Ständestaatregime begründeten. Hammerstein
eröffnete Kokoschkas Ausstellung mit wohlwollenden Worten, die den Wunsch
nach einer gegenseitigen Annäherung zwischen Kokoschka und Österreich zum
217 OK an den österreichischen Werkbund Wien, Prag 25.5.1937, zit. nach Kokoschka, Briefe III, 45.
218 Dies drückt sich auch in einem Brief an Carl Moll aus, in dem Kokoschka indirekt Verständnis für
die Vorwürfe gegen ihn äußert und meint, dass er es nur Moll zuliebe auf sich nehme „verkannt zu
werden“. Vgl. OK an Carl Moll, Prag o. D., zit. nach Sultano, „Eine Art Schwanengesang“, 21.
219 Sultano, „Eine Art Schwanengesang“, 28. Im Vergleich: Die Kubin-Ausstellung in der Albertina
wurde von Pernter persönlich eröffnet.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463