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4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ | 381
Ausdruck brachten.220 Kokoschka seinerseits drückte in einem Brief an die Direk-
tion des Österreichischen Museums im Juli 1937 seine Freude über die Eröffnung
der Ausstellung unter Beteiligung der österreichischen Regierung aus:
„Sehr geehrter Herr Hofrat Dr.
Ernst! Ich wende mich an Sie als den offiziellen verantwort-
lichen Veranstalter der gegenwärtig im Österreichischen Museum gezeigten Ausstellung
meiner Werke. Diese Ausstellung wurde zur Feier meines 50jährigen Geburtstages arran-
giert, und mit großer Freude und Rührung habe ich von dem Anteil an dieser Feier ver-
nommen, den die österreichische Regierung bewies, Herr Minister a. D. Baron Hammer-
stein Equord als Vertreter des Unterrichtsministeriums hat die Ausstellung eröffnet.“221
Der eigentliche Anlass dieses Schreibens war aber nicht die Danksagung bezüglich
der Ausstellung, sondern ein Versuch Kokoschkas, Teile seines Werks vor dem nati-
onalsozialistischen Zugriff zu retten: Er forderte das Museum – und in einem weite-
ren Schreiben auch Bundeskanzler Schuschnigg – auf, die aus deutschen Museen für
die Ausstellung entliehenen Werke nicht zurückzugeben, da sie dort in der bereits
laufenden Beschlagnahmeaktion so genannter „entarteter“ Kunst höchst gefährdet
waren.222 Sein Schreiben zeigt damit deutlich die bestehende Interferenz zwischen
ständestaatlicher und parallel in Deutschland stattfindender kulturpolitischer Maß-
nahmen. Denn trotz konservativer Kulturpolitik christlich-ständischer Ausrichtung
gab es in Österreich noch keine mit NS-Deutschland vergleichbare Hetzjagd auf
moderne Kunst und ihre VertreterInnen.
Kokoschkas und auch Kubins Wahrnehmung durch den österreichischen „Stän-
destaat“ und ihre Positionen und Verhaltensweisen waren somit klar beeinflusst von
den (kultur-)politischen Veränderungen, die seit der nationalsozialistischen Macht-
übernahme in NS-Deutschland ihre Karrieren beeinflussten respektive bedrohten.
Interessant ist aber in jedem Fall, dass sich beide Künstler, von denen der eine –
Kubin – sich als generell unpolitisch und der andere – Kokoschka – sich in seiner
Autobiographie als klarer Gegner der Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur äußerte, nicht
der Vereinnahmung durch ständestaatliche Kunst- und Kulturpolitik entzogen.
220 Sultano, „Eine Art Schwanengesang“, 28.
221 OK an die Direktion des Österreichischen Museums Wien, Mährisch-Ostrau 23.7.1937, zit. nach
Kokoschka, Briefe III, 47.
222 Vgl. dazu Kapitel 4.4.2.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463