Seite - 62 - in Sakralmöbel aus Österreich - Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Band II: Kunstlandschaften im Norden, Süden und Westen
Bild der Seite - 62 -
Text der Seite - 62 -
62 | Barocke Möbel und sakraler Raum
Gestühl mit einer solchen Konsequenz in den Raum ein, wie kein zweites in Öster-
reich. Wandgestaltung, Malerei, Altäre und Chorgestühl bilden in der Stiftskirche eine
untrennbare Einheit, offensichtlich zielten der Abt und seine Künstler auf eine bis
ins Detail reichende Kohärenz des Raums und seines Interieurs, auf eine Vereinigung
aller relevanten Künste. Die Stiftskirche zu Melk und ihre Ausstattung ist das pracht-
volle Ergebnis einer außergewöhnlich stringenten Vorgehensweise von Auftraggeber,
Architekten und Planern. Die materielle und inhaltliche Bezugnahme der einzelnen
Ausstattungselemente aufeinander ist derart komplex, dass kein Teilstück beseitigt, auf
keines verzichtet werden könnte, ohne das Ensemble in seiner Gesamtheit massiv zu
beeinträchtigen. Im sakralen Bereich blieb der Sakralbau in dieser Hinsicht hierzu-
lande ein singuläres Kunstwerk.
Als Standort von Gestühlen wie jenen in Gurk (1680/81 ; Farbtaf.
05 ; Abb.
31–33),
Heiligenkreuz (1707/09) oder Lilienfeld (um 1740/45) dienen die beiden westlichen
Chorjoche bzw. die östlichen Langhausjoche. Während in Gurk Skulpturen Christi
und der Himmelskönigin das Möbel vor einem Mauerpfeiler bekrönen, ragen auf dem
Abschlussgebälk des Gestühls in Lilienfeld jeweils in der Arkadenmitte dreieckige
Schnitzauszüge in die Höhe. Auf diese Weise wird in Gurk und Lilienfeld zumindest
ein lockerer Bezug zur Tektonik des Raums geschaffen, während er in Heiligenkreuz
fehlt. Dort schließt das Gestühl mit einer gleichförmigen Reihe von Büsten, eine Zen-
trierung oder Verklammerung des Möbels mit der Raumstruktur ist nicht zu erkennen.
Nach den Forschungsergebnissen von Sybe Wartena lässt sich an vielen süddeut-
schen Gestühlen des 18. Jahrhunderts eine Akzentuierung der Mitte beobachten128,
eine Art der Gestaltung, die an barocken Möbeln häufig wiederkehrt. Die Exemplare
in der Stiftskirche Altenburg (um 1735) und in der Pfarrkirche St. Veit zu Krems
(1735/36) kommen dem in besonderem Maße nach, denn zum einen ist das Abschluss-
gebälk der Möbel bzw. der jeweilige Schnitzaufsatz entsprechend ausgeformt, zum
anderen erfuhren die Rückwände eine originelle Formgebung, da sich die mittleren
Füllungen durch ihr Aussehen von den seitlichen unterscheiden. Beim Bau sehr vie-
ler österreichischer Gestühle verzichteten die Tischler jedoch auf eine Hervorhebung
der Mittelachse, ein Beispiel hierfür ist das erwähnte Exemplar in Heiligenkreuz, ein
weiteres das Franz Anton Staudinger (1705–1781) 1765/66 für die Stiftskirche zu
Göttweig verfertigte. Staudingers Möbel, ein Vertreter für eines der vielen barocken
Reihengestühle, ist sogar asymmetrisch angelegt, weil es mit besonderen Plätzen für
Abt und Prior endet. Das Gestühl wurde ohne formale Anbindung an die Wandfläche
im Chorraum der Abteikirche errichtet und könnte in fast jeder beliebigen Kirche
platziert werden.
128 Wartena, Süddeutsche Chorgestühle (2008), 128.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Band II: Kunstlandschaften im Norden, Süden und Westen
- Titel
- Sakralmöbel aus Österreich
- Untertitel
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Band
- II: Kunstlandschaften im Norden, Süden und Westen
- Autor
- Michael Bohr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21246-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Die Auftragsvergabe 27
- II. Handwerker und Kunsthandwerker 35
- III. Künstlerische Inventionen, Modelle und Entwürfe 43
- Zur Geschichte 43
- Allgemeines 44
- Modelle für Sakralmöbel 45
- Die Frage nach der Urheberschaft von Entwürfen für Sakralmöbel 47
- Entwürfe und Modelle von Architekten und Baumeistern 47
- Entwürfe und Modelle von »Tischler-Architekten« 50
- Entwürfe und Modelle von Tischlern und Zimmerleuten 51
- Entwürfe von Bildhauern und Bildschnitzern 53
- Entwürfe eines Theateringenieurs und eines Theaterdekorateurs 53
- Entwürfe von Ornamentkünstlern und die Rezeption von Ornamentstichen 54
- Entwürfe von Stuckateuren und die Rezeption von Stuckarbeiten 55
- IV. Barocke Möbel und sakraler Raum 57
- V. Zeittypische Stilbildungen 69
- VI. Österreichische Kunstlandschaften und regionale
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 91
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 91
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 91
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 92
- I. Sakralbauten im Burgenland 93
- II. Sakralbauten in Kärnten 114
- Friesach, Stadtpfarrkirche hl. Bartholomäus 114
- Gösseling, Filialkirche hl. Michael 120
- Griffen, Ehemaliges Prämonstratenserstift 122
- Griffen, Alte Pfarrkirche Unsere Liebe Frau 122
- Griffen, Pfarr- und ehemalige Stiftskirche Mariae Himmelfahrt 125
- Gurk, Konkathedrale und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 129
- Klagenfurt, Dom- und Stadtpfarrkirche St. Peter und Paul 146
- Loschental, Filialkirche hl. Josef 151
- Benediktinerstift St. Paul im Lavanttal 154
- Villach, Stadthauptpfarrkirche hl. Jakob d. Ä 171
- Völkermarkt, Stadtpfarrkirche hl. Maria Magdalena 177
- III. Sakralbauten in Salzburg/Stadt und Land 183
- Maria Plain, Wallfahrtskirche Maria Plain (Maria Himmelfahrt) 183
- Mattsee, Kollegiatstift 189
- Michaelbeuern, Benediktinerstift 196
- Salzburg, Benediktiner-Erzabtei St. Peter 206
- Salzburg, Dreifaltigkeitskirche 219
- Salzburg, Metropolitankirche hll. Rupert und Virgil 229
- Salzburg, St. Markus 244
- Salzburg-Mülln, Stadtpfarrkirche zu Unserer Lieben Frau Mariae
- Himmelfahrt 248
- IV. Sakralbauten in der Steiermark 255
- Frauenberg, Pfarr- und Wallfahrtskirche Mariä Opferung 255
- Graz, Barmherzige Brüder, Kloster und Spital 263
- Graz, Dom- und Pfarrkirche St. Ägidius 272
- Graz, Franziskanerkloster 289
- Graz, Pfarr- und Wallfahrtskirche Mariatrost 292
- Graz, Pfarrkirche St. Andrä 305
- Graz, Welsche Kirche / Kirche hl. Franz de Paula 309
- Gröbming, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 312
- Mariahof, Pfarrkirche hl. Maria 323
- Neuberg an der Mürz, Pfarrkirche Maria Himmelfahrt 333
- Pöllau, Pfarrkirche St. Veit 347
- Pürgg, Pfarrkirche St. Georg 359
- Rein, Zisterzienserstift 365
- Rottenmann, Stadtpfarrkirche St. Nikolaus 381
- St. Lambrecht, Benediktinerabtei 386
- Vorau, Augustiner-Chorherrenstift 404
- V. Sakralbauten in Tirol 419
- Bad Mehrn, Filialkirche hl. Bartholomäus 419
- Brixlegg, Pfarrkirche Unsere Liebe Frau 424
- Innsbruck, Hofkirche zum hl. Kreuz 430
- Innsbruck, Jesuitenkirche zur hl. Dreifaltigkeit 437
- Innsbruck, Servitenkloster 449
- Kramsach, Maria Thal, Pfarrkirche hl. Dominikus 459
- Kundl, Filial- und Wallfahrtskirche St. Leonhard auf der Wiese 469
- St. Georgenberg, Benediktinerabtei 478
- Stams, Zisterzienserabtei 487
- Wilten, Prämonstratenser-Chorherrenstift 513
- VI. Sakralbauten in Vorarlberg 525
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse – Literatur- Zusammenfassung und Ausblick
- Ziele der Untersuchung 551
- Zum strukturellen Aufbau der beiden Bücher 551
- Auftraggeber und Finanziers der Ausstattungen 552
- Wer waren die Tischler ? 553
- Wer waren die Entwerfer der Möbelgarnituren ? 555
- Zusammenarbeit von Tischlern mit anderen Gewerken 556
- Sakralmöbel und Ambiente 558
- Vermittlung und Weitergabe neuer Formen – Österreichische
- Kunstlandschaften 560
- Fazit und Ausblick 562
- Glossar 564
- Ortsindex 573
- Künstlerverzeichnis 577
- Abkürzungsverzeichnis 582
- Abbildungsnachweis 586
- Literaturverzeichnis 587