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70 | Zeittypische Stilbildungen
1681–1696).152 Bis etwa 1710 war italienischer Akanthus eines der am häufigsten
verwendeten Kompositionsmotive im österreichischen Möbelbau.
Trotz des frühen Einflusses welscher Baumeister und Stuckateure auf die Baukunst
orientierten sich Tischler hierzulande bis weit ins letzte Viertel des 17. Jahrhunderts
hinein an der Beschlagwerkornamentik sowie am knorpeligen und teigigen Formen-
schatz des nordischen Spätmanierismus und Frühbarocks.153 Länger als andere
Kunst gattungen dominierten den Möbelbau künstlerische Vorgaben und Handwerks-
traditionen, die auf einer Synthese aus eigenständigen Entwicklungen, italienischen
Inventionen sowie Schöpfungen aus süddeutschen Kunstlandschaften beruhten, wobei
Letztere oft das italienische Kunstschaffen rezipierten. Chorgestühle, die wie jene in
St. Stephan zu Wien oder in der Innsbrucker Jesuitenkirche (Fabtaf. 30 ; Abb. 306,
308, 309) um die Mitte des 17. Jahrhunderts erzeugt wurden, zeigen mit den rund-
bogigen, von Stützen flankierten Arkaden und dem geraden Abschluss noch immer
renaissancezeitliche, die Massivität und Schwere der Möbel betonende Strukturen.
Gleichwohl bildete das Knorpelwerk bei der Gestaltung dieser Inventarstücke die
Grundlage für Zierformen, die in zwei unterschiedlichen Ausprägungen auftraten : auf
der einen Seite kräftige und voluminöse Motive wie an den Bänken der Innsbrucker
Jesuitenkirche (Abb. 304, 305), auf der anderen jener atomistische Zierrat, wie er am
Chorgestühl der Jesuitenkirche, aber auch an Möbeln der Innsbrucker Servitenkirche
und in Bad Mehrn zu beobachten ist (Abb. 287, 288, 315). Für die Stilrichtungen fin-
den sich Vorlagen von Lukas Kilian (1579–1637), Friedrich Brentel (1580–1651) und
Friedrich Unteutsch (um 1600–1670), die Entwürfe stammen von 1610 bis 1633 und
von 1650.154 Flächendekor aus Akanthus wird man an österreichischen Möbeln bis ins
späte 17. Jahrhundert hinein jedenfalls vergeblich suchen.
Zusammen mit der Entwicklung des Knorpelwerks lässt sich im Verlauf des 17.
Jahr-
hunderts eine deutliche Steigerung des Tiefenreliefs der Möbelfassaden beobachten.
Interessante Erkenntnisse hierzu bietet ein Vergleich der Gestühle in der Innsbrucker
Jesuitenkirche mit Möbeln in St. Stephan zu Wien und in der Stiftskirche Wilten
(Farbtaf. 30 ; Abb. 306–310, 378, 379). Die Möbelgarnituren entstanden im zweiten
Drittel des 17. Jahrhunderts. Hochgesockelte Pilaster bilden die Grundlage des archi-
tektonischen Gefüges, das die Rückwände der Gestühle in Innsbruck auszeichnet.155
152 Zu den Altären s. Euler-Rolle, Akanthusaltäre (1987), bes. 69. Zu Indau und Unselt vgl. Berliner/
Egger, Vorlageblätter (1981), Bd. 1, 88–89, Bd. 3, Abb. 1060–1062, 1068–1072.
153 Allerdings beruhte der nordische Frühbarock wohl auch auf italienischen Inventionen. Einer der Weg-
bereiter barocker Ornamentik war Federico Zuccari (1542–1609), dessen Stiche um oder kurz nach
1600 entstanden. Berliner/Egger, ebd., Bd. 1, 72–73, Bd. 2, Abb. 731–734.
154 Berliner/Egger, ebd., Bd. 1, 78–79, 81–82, Bd. 2, Abb. 864–869, 914–916, 948–950.
155 Mit einer vergleichbaren Gestaltung warten das Chorgestühl in der Innsbrucker Hofkirche von
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Band II: Kunstlandschaften im Norden, Süden und Westen
- Titel
- Sakralmöbel aus Österreich
- Untertitel
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Band
- II: Kunstlandschaften im Norden, Süden und Westen
- Autor
- Michael Bohr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21246-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Die Auftragsvergabe 27
- II. Handwerker und Kunsthandwerker 35
- III. Künstlerische Inventionen, Modelle und Entwürfe 43
- Zur Geschichte 43
- Allgemeines 44
- Modelle für Sakralmöbel 45
- Die Frage nach der Urheberschaft von Entwürfen für Sakralmöbel 47
- Entwürfe und Modelle von Architekten und Baumeistern 47
- Entwürfe und Modelle von »Tischler-Architekten« 50
- Entwürfe und Modelle von Tischlern und Zimmerleuten 51
- Entwürfe von Bildhauern und Bildschnitzern 53
- Entwürfe eines Theateringenieurs und eines Theaterdekorateurs 53
- Entwürfe von Ornamentkünstlern und die Rezeption von Ornamentstichen 54
- Entwürfe von Stuckateuren und die Rezeption von Stuckarbeiten 55
- IV. Barocke Möbel und sakraler Raum 57
- V. Zeittypische Stilbildungen 69
- VI. Österreichische Kunstlandschaften und regionale
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 91
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 91
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 91
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 92
- I. Sakralbauten im Burgenland 93
- II. Sakralbauten in Kärnten 114
- Friesach, Stadtpfarrkirche hl. Bartholomäus 114
- Gösseling, Filialkirche hl. Michael 120
- Griffen, Ehemaliges Prämonstratenserstift 122
- Griffen, Alte Pfarrkirche Unsere Liebe Frau 122
- Griffen, Pfarr- und ehemalige Stiftskirche Mariae Himmelfahrt 125
- Gurk, Konkathedrale und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 129
- Klagenfurt, Dom- und Stadtpfarrkirche St. Peter und Paul 146
- Loschental, Filialkirche hl. Josef 151
- Benediktinerstift St. Paul im Lavanttal 154
- Villach, Stadthauptpfarrkirche hl. Jakob d. Ä 171
- Völkermarkt, Stadtpfarrkirche hl. Maria Magdalena 177
- III. Sakralbauten in Salzburg/Stadt und Land 183
- Maria Plain, Wallfahrtskirche Maria Plain (Maria Himmelfahrt) 183
- Mattsee, Kollegiatstift 189
- Michaelbeuern, Benediktinerstift 196
- Salzburg, Benediktiner-Erzabtei St. Peter 206
- Salzburg, Dreifaltigkeitskirche 219
- Salzburg, Metropolitankirche hll. Rupert und Virgil 229
- Salzburg, St. Markus 244
- Salzburg-Mülln, Stadtpfarrkirche zu Unserer Lieben Frau Mariae
- Himmelfahrt 248
- IV. Sakralbauten in der Steiermark 255
- Frauenberg, Pfarr- und Wallfahrtskirche Mariä Opferung 255
- Graz, Barmherzige Brüder, Kloster und Spital 263
- Graz, Dom- und Pfarrkirche St. Ägidius 272
- Graz, Franziskanerkloster 289
- Graz, Pfarr- und Wallfahrtskirche Mariatrost 292
- Graz, Pfarrkirche St. Andrä 305
- Graz, Welsche Kirche / Kirche hl. Franz de Paula 309
- Gröbming, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 312
- Mariahof, Pfarrkirche hl. Maria 323
- Neuberg an der Mürz, Pfarrkirche Maria Himmelfahrt 333
- Pöllau, Pfarrkirche St. Veit 347
- Pürgg, Pfarrkirche St. Georg 359
- Rein, Zisterzienserstift 365
- Rottenmann, Stadtpfarrkirche St. Nikolaus 381
- St. Lambrecht, Benediktinerabtei 386
- Vorau, Augustiner-Chorherrenstift 404
- V. Sakralbauten in Tirol 419
- Bad Mehrn, Filialkirche hl. Bartholomäus 419
- Brixlegg, Pfarrkirche Unsere Liebe Frau 424
- Innsbruck, Hofkirche zum hl. Kreuz 430
- Innsbruck, Jesuitenkirche zur hl. Dreifaltigkeit 437
- Innsbruck, Servitenkloster 449
- Kramsach, Maria Thal, Pfarrkirche hl. Dominikus 459
- Kundl, Filial- und Wallfahrtskirche St. Leonhard auf der Wiese 469
- St. Georgenberg, Benediktinerabtei 478
- Stams, Zisterzienserabtei 487
- Wilten, Prämonstratenser-Chorherrenstift 513
- VI. Sakralbauten in Vorarlberg 525
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse – Literatur- Zusammenfassung und Ausblick
- Ziele der Untersuchung 551
- Zum strukturellen Aufbau der beiden Bücher 551
- Auftraggeber und Finanziers der Ausstattungen 552
- Wer waren die Tischler ? 553
- Wer waren die Entwerfer der Möbelgarnituren ? 555
- Zusammenarbeit von Tischlern mit anderen Gewerken 556
- Sakralmöbel und Ambiente 558
- Vermittlung und Weitergabe neuer Formen – Österreichische
- Kunstlandschaften 560
- Fazit und Ausblick 562
- Glossar 564
- Ortsindex 573
- Künstlerverzeichnis 577
- Abkürzungsverzeichnis 582
- Abbildungsnachweis 586
- Literaturverzeichnis 587