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Zeittypische Stilbildungen |
71Süddeutschland,
Ital en und Frankreich
Die seichten Stützen heben sich kaum von der Grundfläche ab und nehmen ähnlich
flache Arkaden in ihre Mitte. Wie wenig andere erinnern diese Möbelgarnituren an
renaissancezeitliche Architekturen. Im Gegensatz dazu werden die Rückwände der
Gestühle in Wien und Wilten durch das Zusammenspiel von Nischenarkaden, die
eine mehrfache Tiefenschichtung auszeichnet, mit kräftigen, sich deutlich von der
Bezugsebene lösenden Pilastern oder Säulen unmissverständlich dreidimensional,
die Dekorformen entfalten auf diese Weise eine kraftvolle Reliefwirkung. Das Licht
fällt ungleichmäßig auf die skulptural wirkenden Flächen, was für ein kontrastreiches
Wechselspiel zwischen Lichtreflexen und Schattenzonen sorgt. Dadurch gewinnen
die Möbel optisch noch an räumlicher Tiefe - ein wichtiges Gestaltungsmittel im
früh- und hochbarocken Möbelbau. In Verbindung damit treffen der Formensprache
des Schweifwerks entlehnte leichte und luftige Ornamente auf frühbarocken knorpe-
ligen Zierrat und werden bald danach von schweren amorphen Gebilden verdrängt.
Es verblüfft, wie sehr sich das Erscheinungsbild der Möbel in jenem Zeitraum än-
derte. Pilaster werden durch Säulen ersetzt, die zudem nicht selten tordiert gedreht
sind (Abb.
54, 255, 264), ursprünglich relativ flache Oberflächen gewinnen im zweiten
Jahrhundertdrittel an Plastizität, die Vorderseiten der Möbel werden durchmodelliert
(Abb.
66). Zugleich erhalten Chorgestühle, Schränke und Beichtstühle (Abb.
124, 133,
134, 141, 142, 171) hohe Aufsatzüberbauten oder Schnitzauszüge, die die Betonung
der horizontalen Strukturen zugunsten vertikaler Akzente aufbrechen.
Seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert wird jedoch zunächst in Wien und in der
näheren Umgebung der Residenzstadt, bald darauf auch in Graz französisches Bandl-
werk rezipiert. Zunächst wirkte die stilistische Parallelströmung nur in Ausnahmefäl-
len, im Laufe der Zeit aber immer häufiger. Schon ein Druck aus den 1690er-Jahren
von Friedrich Jacob Morisson (nachw. 1693 und 1697) gibt deutliche Hinweise auf
den französischen Einfluss, der im frühen 18. Jahrhundert im Möbelbau rasch zu-
nimmt.156 1701/02 werden die Sommersakristei in Melk und die Bibliothek zu Hei-
ligenkreuz mit französischen Bandlwerkmotiven bereichert, 1706 bis 1709 die Bänke
in der Domkirche zu Graz (Abb. 152, 153) mit einer Mischung von Akanthus und
Bandlwerk. Um 1730/40 stellte der Göttweiger Abt Gottfried Bessel (reg. 1714–1749)
zur Ausstattung seines Klosters Handwerker ein, die in Paris ausgebildet worden waren,
während der Konvent von St. Florian in jener Zeit noch venezianische Sitzmöbel an-
kaufte. Die Tischler sahen sich folglich mit ihren Erzeugnissen seit der Wende vom 17.
1562/63 oder auch das um 1590/1600 gebaute Gestühl in der Pfarrkirche Hl. Karl Borromäus in
Hohenems auf. ÖKT, Innsbruck, Hofbauten (1986), 291, Abb. 368 ; ÖKT, Feldkirch (1958), 390, 391.
156 Zum Druck von Morisson vgl. Ornamentstichsammlung des Wiener Museums für angewandte Kunst
(MAK), KI 2201-1.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Band II: Kunstlandschaften im Norden, Süden und Westen
- Titel
- Sakralmöbel aus Österreich
- Untertitel
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Band
- II: Kunstlandschaften im Norden, Süden und Westen
- Autor
- Michael Bohr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21246-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Die Auftragsvergabe 27
- II. Handwerker und Kunsthandwerker 35
- III. Künstlerische Inventionen, Modelle und Entwürfe 43
- Zur Geschichte 43
- Allgemeines 44
- Modelle für Sakralmöbel 45
- Die Frage nach der Urheberschaft von Entwürfen für Sakralmöbel 47
- Entwürfe und Modelle von Architekten und Baumeistern 47
- Entwürfe und Modelle von »Tischler-Architekten« 50
- Entwürfe und Modelle von Tischlern und Zimmerleuten 51
- Entwürfe von Bildhauern und Bildschnitzern 53
- Entwürfe eines Theateringenieurs und eines Theaterdekorateurs 53
- Entwürfe von Ornamentkünstlern und die Rezeption von Ornamentstichen 54
- Entwürfe von Stuckateuren und die Rezeption von Stuckarbeiten 55
- IV. Barocke Möbel und sakraler Raum 57
- V. Zeittypische Stilbildungen 69
- VI. Österreichische Kunstlandschaften und regionale
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 91
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 91
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 91
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 92
- I. Sakralbauten im Burgenland 93
- II. Sakralbauten in Kärnten 114
- Friesach, Stadtpfarrkirche hl. Bartholomäus 114
- Gösseling, Filialkirche hl. Michael 120
- Griffen, Ehemaliges Prämonstratenserstift 122
- Griffen, Alte Pfarrkirche Unsere Liebe Frau 122
- Griffen, Pfarr- und ehemalige Stiftskirche Mariae Himmelfahrt 125
- Gurk, Konkathedrale und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 129
- Klagenfurt, Dom- und Stadtpfarrkirche St. Peter und Paul 146
- Loschental, Filialkirche hl. Josef 151
- Benediktinerstift St. Paul im Lavanttal 154
- Villach, Stadthauptpfarrkirche hl. Jakob d. Ä 171
- Völkermarkt, Stadtpfarrkirche hl. Maria Magdalena 177
- III. Sakralbauten in Salzburg/Stadt und Land 183
- Maria Plain, Wallfahrtskirche Maria Plain (Maria Himmelfahrt) 183
- Mattsee, Kollegiatstift 189
- Michaelbeuern, Benediktinerstift 196
- Salzburg, Benediktiner-Erzabtei St. Peter 206
- Salzburg, Dreifaltigkeitskirche 219
- Salzburg, Metropolitankirche hll. Rupert und Virgil 229
- Salzburg, St. Markus 244
- Salzburg-Mülln, Stadtpfarrkirche zu Unserer Lieben Frau Mariae
- Himmelfahrt 248
- IV. Sakralbauten in der Steiermark 255
- Frauenberg, Pfarr- und Wallfahrtskirche Mariä Opferung 255
- Graz, Barmherzige Brüder, Kloster und Spital 263
- Graz, Dom- und Pfarrkirche St. Ägidius 272
- Graz, Franziskanerkloster 289
- Graz, Pfarr- und Wallfahrtskirche Mariatrost 292
- Graz, Pfarrkirche St. Andrä 305
- Graz, Welsche Kirche / Kirche hl. Franz de Paula 309
- Gröbming, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 312
- Mariahof, Pfarrkirche hl. Maria 323
- Neuberg an der Mürz, Pfarrkirche Maria Himmelfahrt 333
- Pöllau, Pfarrkirche St. Veit 347
- Pürgg, Pfarrkirche St. Georg 359
- Rein, Zisterzienserstift 365
- Rottenmann, Stadtpfarrkirche St. Nikolaus 381
- St. Lambrecht, Benediktinerabtei 386
- Vorau, Augustiner-Chorherrenstift 404
- V. Sakralbauten in Tirol 419
- Bad Mehrn, Filialkirche hl. Bartholomäus 419
- Brixlegg, Pfarrkirche Unsere Liebe Frau 424
- Innsbruck, Hofkirche zum hl. Kreuz 430
- Innsbruck, Jesuitenkirche zur hl. Dreifaltigkeit 437
- Innsbruck, Servitenkloster 449
- Kramsach, Maria Thal, Pfarrkirche hl. Dominikus 459
- Kundl, Filial- und Wallfahrtskirche St. Leonhard auf der Wiese 469
- St. Georgenberg, Benediktinerabtei 478
- Stams, Zisterzienserabtei 487
- Wilten, Prämonstratenser-Chorherrenstift 513
- VI. Sakralbauten in Vorarlberg 525
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse – Literatur- Zusammenfassung und Ausblick
- Ziele der Untersuchung 551
- Zum strukturellen Aufbau der beiden Bücher 551
- Auftraggeber und Finanziers der Ausstattungen 552
- Wer waren die Tischler ? 553
- Wer waren die Entwerfer der Möbelgarnituren ? 555
- Zusammenarbeit von Tischlern mit anderen Gewerken 556
- Sakralmöbel und Ambiente 558
- Vermittlung und Weitergabe neuer Formen – Österreichische
- Kunstlandschaften 560
- Fazit und Ausblick 562
- Glossar 564
- Ortsindex 573
- Künstlerverzeichnis 577
- Abkürzungsverzeichnis 582
- Abbildungsnachweis 586
- Literaturverzeichnis 587