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58 An mulier sit capax imperii? Die Reichspublizistik zur Rolle der Kaiserin
Frühen Neuzeit unter Ausschluss der Öffentlichkeit in der Sakristei von den geistlichen
Assistenten des Koronators vollzogen wurde.
Die praktische Relevanz der Erzämter blieb also, ungeachtet mancher juristischer Dis-
kussionen, die von Ehrenämtern ohne wirkliche Amtsverrichtungen208 – dies gilt freilich
in ähnlicher Weise für die Erzämter des Kaisers selbst, wurden doch die Kurfürsten in
der Frühen Neuzeit als seine Erzamtsträger ebenfalls allein zu praktischen Amtswaltungen
im Rahmen der Krönung bzw. des Krönungsmahles herangezogen. Dass die Würde eines
Erzamtes auch im Umfeld der Kaiserin trotzdem attraktiv blieb, zeigen die langwierigen
Bemühungen von Seiten Kemptens um ein Amt, das de facto erst im 17. Jahrhundert ge-
schaffen wurde, ebenso wie die wiederholten Konflikte zwischen den beiden Fürstäbten
und den Kurfürsten im Kontext der Krönung selbst.
Das Ius Primariarum Precum
„Das Recht der ersten Bitte der Römischen Kayserin ist ein besonderes und so gleich durch
die Vermählung erlangtes Recht, vermöge dessen sie aus eigener Macht und Gewalt befugt
ist, tüchtigen und nach denen Statuten iedes Capitels qualificirten Personen die Anwart-
schaft auf das zuerst verledigt werdende Beneficium, Pfründ und Canonicat so wohl in
männlichen als weiblichen Reichs-Stiftern und Klöstern zu ertheilen.“209
Das damit charakterisierte Recht war eines der wenigen der Kaiserin, das in der Reichs-
publizistik kaum bestritten wurde. Erstmals dezidiert führte es 1641 die Neuauflage von
Besolds „Thesaurus practicus“210 an; Ahasver von Fritsch verwies dann (unter Bezugnahme
auf Besold) darauf, dass das Recht der Kaiserin nach „jure nostro“, also nach dem Rechts-
brauch im Heiligen Römischen Reich, zukäme. Das von ihm in diesem Zusammenhang
zitierte Schreiben von Kaiserin Eleonore von Portugal aus dem Jahr 1459211, mit dem sie die
Äbtissin des Klosters Buchau um eine Pfründe für einen Geistlichen bat, findet sich dann
als Paradebeispiel in mehreren weiteren Ausführungen zu diesem Thema. Nur selten, etwa
bei Strauch 1683212, wurde zwar nicht das Recht als solches in Zweifel gezogen, aber darauf
hingewiesen, dass es mangels Ausübung in Verlust geraten sei.
208 Moser, Neues Teutsches Staatsrecht, 661.
209 Jenichen, Abhandlung von dem Recht der ersten Bitte, IX; zu historischen Beispielen Fößel, Von
gots gnaden, 33f.
210 Besold, Thesaurus, 731f.
211 Fritsch, De Augusta, 58–60; siehe auch Leucht, Augusti Corona Augustissima Augustae, 4–7;
Multz, Repraesentatio Maiestatis, 245f., 248; Struve, Corpus iuris publici, 571.
212 Strauch, Institutionum Iuris Publici, 168; Mascov, Principia Juris publici, 163–165.
https://doi.org/10.7767/ 9783205213383 | CC BY 4.0
© BRILL Österreich GmbH Böhlau Verlag, Zeltgasse 1/6a, A-1080 Wien
Die Kaiserin
Reich, Ritual und Dynastie
- Titel
- Die Kaiserin
- Untertitel
- Reich, Ritual und Dynastie
- Autor
- Katrin Keller
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21338-3
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 430
- Schlagwörter
- Heiliges Römisches Reich, Kaiserin, Kulturgeschichte, Geschlechtergeschichte, Krönung
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Kaiserin und Reich: Einleitung 9
- An mulier sit capax imperii? Die Reichspublizistik zur Rolle der Kaiserin 21
- Überblick 22
- Wie wird man Kaiserin? 29
- Inhaltliche Schwerpunkte der Reichspublizistik 36
- Die Majestas-Debatte 36
- Der Rang der Kaiserin: Die Diskussion um die Goldene Bulle 42
- Juribus singularis: Privilegien und Rechte der Kaiserin 47
- Welche Rechte hat die Kaiserin? 48
- Die Erzämter 53
- Das Ius Primariarum Precum 58
- Schluss 62
- Die Krönung der Kaiserin im Heiligen Römischen Reich der Frühen Neuzeit 65
- Der rituelle Ablauf 68
- Traditionen: Die Krönung im Mittelalter 68
- Der Ablauf der Krönung 71
- Ritual und Geschlecht 82
- Die Kaiserinnenkrönung als Inszenierung des Reiches: Konstellationen und Konflikte 86
- Kaiser und Kurfürsten 87
- 1612: Der Neuanfang 103
- 1630: Die Verlegenheitslösung 110
- 1637: Kaiserin und Königin 114
- 1653: Kompetenzen und Präzedenzen 122
- 1690: Zeremonialkonflikte 133
- 1742: Abgesang? 142
- Schluss 153
- Kaiserinnen in den Medien 157
- Kaiserinnen in gedruckten Medien: Ein Überblick 160
- Eigenständige Publikationen 161
- Chronikwerke 171
- Zeitungen 178
- Die Krönung als Medienereignis 181
- Medienformen 183
- Die Krönungsbeschreibungen 191
- Texte und Bilder 200
- Die mediale Präsenz der Krönungen im Vergleich 225
- Die Kaiserin in aller Munde? Die Geburt des Thronfolgers 1716 226
- Lucerna abscondita: Wie gedenkt man einer Kaiserin? 232
- Schluss 241
- Handlungsfelder 245
- Kaiserliche Repräsentation: Audienzen 248
- Audienzen beim Reichstag 1653 252
- Audienzen in Wien 254
- Dauer und Gegenstand von Audienzen 258
- Audienzen für reichsständische Diplomaten 261
- Netzwerke: Korrespondenzen 268
- Zur Überlieferung 268
- Das Korrespondenzregister Kaiserin Eleonora Magdalenas (I) 271
- Grußbriefe und Courtoisieschreiben 273
- Jenseits von Korrespondenzen: Patenschaften und Damenorden 277
- Fürbitten 279
- Das Korrespondenzregister Kaiserin Eleonora Magdalenas (II) 279
- Die Kaiserin als Fürsprecherin: Beispiele 284
- Die Regentin: Kaiserin-Witwe Eleonora Magdalena und die Kaiserwahl 1711 297
- Die Begründung der Regentschaft 300
- Zum Selbstverständnis der Regentin 304
- Die Kaiserwahl als Aufgabe 309
- Schluss 319
- Kaiserin und Reich: Schluss 323
- Anhang 331
- Die Königinnen und Kaiserinnen der Frühen Neuzeit 331
- Aufenthalte von Königinnen bzw. Kaiserinnen „im Reich“ (ca. 1550 bis 1745) 332
- Korrespondentinnen und Korrespondenten von Kaiserin Eleonora
- Magdalena im Heiligen Römischen Reich 1697–1705 334
- Verwendete Darstellungen der Reichspublizistik 337
- Ungedruckte und gedruckte Krönungsbeschreibungen 344
- Tabellenverzeichnis 354
- Abbildungsverzeichnis 355
- Abkürzungsverzeichnis 356
- Quellenverzeichnis 357
- Literaturverzeichnis 367
- Gedruckte Quellen und Editionen 367
- Mehrfach zitierte Onlineressoucen 377
- Literatur 378
- Personenregister 410
- Ortsregister 427