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62 An mulier sit capax imperii? Die Reichspublizistik zur Rolle der Kaiserin
weise für Preces von Seiten der Kaiserin gab. Genauso gut kann das Gutachten aber den
Versuch darstellen, Interessen des Kaisers im Reich über ein Recht der Kaiserin wahrzu-
nehmen, ohne diese selbst dabei realiter einzubeziehen. Dann würde die Argumentation
des Gutachtens einen weiteren Hinweis auf die fortschreitende Marginalisierung der Rolle
der Kaiserin im Reich darstellen.
Schluss
Die Kaiserin im Reich, ihre Rechte und Privilegien sowie Rahmenbedingungen ihres
Handelns waren, das wurde schon eingangs festgehalten, sicherlich kein zentrales Thema
der Reichspublizistik. Was die vorstehenden Ausführungen jedoch belegen ist, dass der
verfassungsrechtliche Platz der Kaiserin in der Mehrzahl der Abhandlungen, auch der
Überblicksdarstellungen, dauerhaft integraler Bestandteil einer Behandlung des Reiches
blieb. Dies unterscheidet die Reichspublizistik von der Rechts- und Verfassungsgeschichts-
schreibung späterer Jahrhunderte ebenso wie von der Forschung des 20. Jahrhunderts
zur Reichsgeschichte, die diesen Fragen überhaupt keine Beachtung geschenkt bzw. aus-
schließlich die völlige Funktionslosigkeit der Kaiserin229 formuliert haben.
Freilich dürften viele der in den entsprechenden Abschnitten bzw. Abhandlungen in
Bezug auf die Kaiserin angesprochenen juristischen Fragen eher Relevanz in einem akade-
misch geprägten Diskurs erlangt haben als in der politischen und juristischen Realität des
Heiligen Römischen Reiches. Besonders plastisch zeigt dies wohl das wiederholt festgehal-
tene Recht der Kaiserin, ebenso wie der Kaiser in Statuen verewigt zu werden230 – an kaum
einer Stelle wird deutlicher, wie stark römisch-rechtliche antike Traditionen die Diskussion
um Kaiser, Kaiserin und Reich noch bis ins beginnende 18. Jahrhundert bestimmten.
Interessant ist das sichtbare Bemühen um eine Historisierung der Stellung der Kaiserin,
das sich im Hintergrund durch die Darstellungen zieht: Schon in der ersten ausführli-
cheren Stellungnahme der Reichspublizistik, in Melchior Goldasts Widmung seines Ban-
des der „Reichssatzung“ an Kaiserin Anna von Tirol, wurde die Differenz zwischen den
Handlungsspielräumen mittelalterlicher und antiker Kaiserinnen und denen der Neuzeit
angesprochen. Immer wieder bemühte man germanische Traditionen oder biblische Vor-
bilder, um den Rahmen für die herrschaftliche Relevanz des Handelns von Kaiserinnen
wie Adelheid oder Kunigunde, ganz zu schweigen von der byzantinischen Theodora, zu
schaffen. Klar war für alle Autoren (abgesehen von Goldast), dass Vergleichbares zu ihren
eigenen Lebzeiten nicht mehr möglich war. Diese Historisierung darf als Element einer
229 Z. B. Schneidmüller, Inszenierungen und Rituale, 279f.
230 Z. B. Krebs, Teutscher Reichs-Staat, 172.
https://doi.org/10.7767/ 9783205213383 | CC BY 4.0
© BRILL Österreich GmbH Böhlau Verlag, Zeltgasse 1/6a, A-1080 Wien
Die Kaiserin
Reich, Ritual und Dynastie
- Titel
- Die Kaiserin
- Untertitel
- Reich, Ritual und Dynastie
- Autor
- Katrin Keller
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21338-3
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 430
- Schlagwörter
- Heiliges Römisches Reich, Kaiserin, Kulturgeschichte, Geschlechtergeschichte, Krönung
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Kaiserin und Reich: Einleitung 9
- An mulier sit capax imperii? Die Reichspublizistik zur Rolle der Kaiserin 21
- Überblick 22
- Wie wird man Kaiserin? 29
- Inhaltliche Schwerpunkte der Reichspublizistik 36
- Die Majestas-Debatte 36
- Der Rang der Kaiserin: Die Diskussion um die Goldene Bulle 42
- Juribus singularis: Privilegien und Rechte der Kaiserin 47
- Welche Rechte hat die Kaiserin? 48
- Die Erzämter 53
- Das Ius Primariarum Precum 58
- Schluss 62
- Die Krönung der Kaiserin im Heiligen Römischen Reich der Frühen Neuzeit 65
- Der rituelle Ablauf 68
- Traditionen: Die Krönung im Mittelalter 68
- Der Ablauf der Krönung 71
- Ritual und Geschlecht 82
- Die Kaiserinnenkrönung als Inszenierung des Reiches: Konstellationen und Konflikte 86
- Kaiser und Kurfürsten 87
- 1612: Der Neuanfang 103
- 1630: Die Verlegenheitslösung 110
- 1637: Kaiserin und Königin 114
- 1653: Kompetenzen und Präzedenzen 122
- 1690: Zeremonialkonflikte 133
- 1742: Abgesang? 142
- Schluss 153
- Kaiserinnen in den Medien 157
- Kaiserinnen in gedruckten Medien: Ein Überblick 160
- Eigenständige Publikationen 161
- Chronikwerke 171
- Zeitungen 178
- Die Krönung als Medienereignis 181
- Medienformen 183
- Die Krönungsbeschreibungen 191
- Texte und Bilder 200
- Die mediale Präsenz der Krönungen im Vergleich 225
- Die Kaiserin in aller Munde? Die Geburt des Thronfolgers 1716 226
- Lucerna abscondita: Wie gedenkt man einer Kaiserin? 232
- Schluss 241
- Handlungsfelder 245
- Kaiserliche Repräsentation: Audienzen 248
- Audienzen beim Reichstag 1653 252
- Audienzen in Wien 254
- Dauer und Gegenstand von Audienzen 258
- Audienzen für reichsständische Diplomaten 261
- Netzwerke: Korrespondenzen 268
- Zur Überlieferung 268
- Das Korrespondenzregister Kaiserin Eleonora Magdalenas (I) 271
- Grußbriefe und Courtoisieschreiben 273
- Jenseits von Korrespondenzen: Patenschaften und Damenorden 277
- Fürbitten 279
- Das Korrespondenzregister Kaiserin Eleonora Magdalenas (II) 279
- Die Kaiserin als Fürsprecherin: Beispiele 284
- Die Regentin: Kaiserin-Witwe Eleonora Magdalena und die Kaiserwahl 1711 297
- Die Begründung der Regentschaft 300
- Zum Selbstverständnis der Regentin 304
- Die Kaiserwahl als Aufgabe 309
- Schluss 319
- Kaiserin und Reich: Schluss 323
- Anhang 331
- Die Königinnen und Kaiserinnen der Frühen Neuzeit 331
- Aufenthalte von Königinnen bzw. Kaiserinnen „im Reich“ (ca. 1550 bis 1745) 332
- Korrespondentinnen und Korrespondenten von Kaiserin Eleonora
- Magdalena im Heiligen Römischen Reich 1697–1705 334
- Verwendete Darstellungen der Reichspublizistik 337
- Ungedruckte und gedruckte Krönungsbeschreibungen 344
- Tabellenverzeichnis 354
- Abbildungsverzeichnis 355
- Abkürzungsverzeichnis 356
- Quellenverzeichnis 357
- Literaturverzeichnis 367
- Gedruckte Quellen und Editionen 367
- Mehrfach zitierte Onlineressoucen 377
- Literatur 378
- Personenregister 410
- Ortsregister 427