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1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung
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markanteste Beispielfall seiner frĂŒhen Hegelâschen Ausrichtung kann dann im
Aufsatz âCensur und Kunst-Kritikâ aus dem Jahr 1848 erblickt werden, der in
der diesbezĂŒglichen SekundĂ€rliteratur hĂ€ufig zitiert wird:
Die echte Kunstkritik wird sich bei Beurtheilung eines Kunstwerkes â stets vo-
rausgesetzt, daĂ dessen Bedeutsamkeit einen höheren MaĂstab aufruft â, nicht
damit begnĂŒgen, in den Schacht des technischen Details hinabzusteigen, sie
wird den Gipfel der Idee erklimmen. Sie wird darthun, wie die Idee, welche das
einzelne Kunstwerk schuf, sich verhÀlt zu den Ideen, welche die ganze Mensch-
heit bewegen; sie wird dem KĂŒnstler nicht bloĂ seinen höheren oder niederen
Rang in der Kunstgeschichte anweisen, sondern vorerst seine Stellung prĂŒfen
zur ganzen idealen Aufgabe der Zeit, und deren constituirenden Momenten: der
Religion, der Geschichte, der Philosophie. Die Kunst wiederholt die durch rei-
ne Contemplation aufgefaĂten ewigen Ideen, das Bleibende und Wesentliche
aller weltlichen Erscheinungen, und je nachdem der Stoff ist, in welchem sie
wiederhohlt [sic], ist sie bildende Kunst, Musik oder Poesie. Die Kunst-Philoso-
phie unserer Zeit sieht in der Kunst (Dank sei es vor Allem Hegelâs BemĂŒhun-
gen!) nicht mehr ein bloĂes Spielzeug zu sinnreichem Ergötzen, sie erkennt sie
als eine Manifestation der Gottheit, als eine ebenbĂŒrtige Schwester der Religi-
on, der Philosophie [âŠ]. Wir sind ĂŒber die dĂŒrftige Anschauung hinaus, welche
in einem MusikstĂŒcke nur eine symmetrische Aneinanderreihung angenehmer
Töne und Tonfolgen sah, und die Definition des groĂen Philosophen Leibnitz
[sic] ist eine nurmehr historische geworden. Die Werke der groĂen Tondichter
sind mehr als Musik, sie sind Spiegelbilder der philosophischen, religiösen und poli-
tischen Weltanschauung ihrer Zeit.70
Obwohl Hanslick den generellen Stellenwert dieser relativ âĂ€uĂerlichenâ Teil-
elemente der musikalischen Komposition selbst spÀter niemals leugnet (vgl.
VMS, S. 92f., und Kap. 2.1), ihnen jedoch niemals theoretische TragfÀhigkeit
zubilligt, scheinen derartige romantische DenkansÀtze mit der allgemeinen
Ă€sthetischen Abhandlung schwerlich kompatibel. Besonders Hanslicks vehe-
mentes politisches Engagement bei der Wiener Revolte im Jahr 184871 sowie
seine getĂ€uschten Hoffnungen und die bestĂŒrzende Hinrichtung des Kollegen
Alfred Julius Becher dĂŒrften jedoch bewirkt haben, dass sich Hanslicks Ansich-
ten beizeiten wandelten72 und man im fertigen Traktat die folgende Passage
70 Eduard Hanslick, âCensur und Kunst-Kritikâ, in Wiener Zeitung (24.03.1848), S. 1. Neu-
erlich abgedruckt in: StrauĂ, Hanslick Schriften (wie Anm. 16), Bd. 1, S. 156f.
71 Zu Hanslicks Teilnahme, die von ihm hinterher kaschiert wurde (Aus meinem Leben [wie
Anm. 17], S. 86), vergleiche prinzipiell: Payzant, Sixteen Lectures (wie Anm. 12), S. 135.
72 Dietmar StrauĂ, âDavidsbundâ (wie Anm. 24), S. 285; Martin Geck, Zwischen Romantik
und Restauration. Musik im Realismus-Diskurs der Jahre 1848â1871, Stuttgart/Weimar/Kassel
2001, S. 177; Barbara Boisits, âFormalismus als österreichische Staatsdoktrin? Zum Kon-
text musikalischer FormalĂ€sthetik innerhalb der Wissenschaft Zentraleuropasâ, in Musi-
cological Annual 40/1â2 (2004), S. 129â136, hier S. 136; GĂ€rtner, Hanslick versus Liszt (wie
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Titel
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Untertitel
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Autor
- Alexander Wilfing
- Verlag
- Hollitzer Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Abmessungen
- 16.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 434
- Schlagwörter
- Eduard Hanslick, Formalismus, MusikĂ€sthetik, Musik und GefĂŒhl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die âidealistischeâ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die âösterreichischeâ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang â Hanslicks âtönend bewegte Form[en]â 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik â Ăsthetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ăbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ăbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone MusikÀsthetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ăbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang â Hanslickâsche Rezensionen in Dwightâs Journal of Music 176
- 4. Was ist Ă€sthetischer Formalismus? â Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- AbkĂŒrzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423