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2.1. Legendenbildung: die historische Wendung Hanslicks
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Moser, Stange oder Wellek finden, was die frĂŒhzeitige Verbreitung dieses Nar-
rativs illustriert.342 Wie fest diese praktische Auslegung in der âdeutschenâ For-
schung verankert scheint, belegt rezent auch Daniel Lettgen, der bei Hanslicks
VMS-Traktat einen radikal âmetahistorischenâ Schönheitsbegriff diagnosti-
ziert und daraus folgert, dass Hanslick spĂ€ter âseinen Wunschtraum unzerstör-
barer Schönheitâ widerwillig aufgeben musste.343 Sogar Kevin Karnes, der die
kritische TÀtigkeit Hanslicks intensiv studierte, lÀsst ihn um das Jahr 1860 eine
historische Wendung vollziehen, da er die geschichtliche Konstituierung von
Ă€sthetischen Eigenschaften erst damals erfasst habe, die eben nicht âempirically
verifiableâ, sondern vielmehr historisch und geographisch eingebundene âpro-
ducts of cultureâ wĂ€ren.344 Der zentrale Auslöser fĂŒr eine derartige VMS-Les-
art ist aber wohl die neuerliche Entdeckung von Herbart als angeblich wich-
tigste Textquelle Hanslicks (Kap. 1.3), die von Dietmar Strauà forciert wurde:
Der âinvariante Schönheitsbegriffâ, den StrauĂ bei Hanslick zu finden glaubte,
sei aus dem Herbartâschen Formalismus bezogen worden.345
Seine These, dass Hanslicks VMS-Traktat in der Tradition Herbarts stĂŒnde,
weicht aber klar von den eigenen frĂŒheren EinwĂ€nden zu SchĂ€fkes Theorien
ab, die er im instruktiven Begleitband seiner kritischen VMS-Edition vorge-
legt hat. Dort wird eine Wendung Hanslicks unter alleiniger Berufung auf Aus
meinem Leben entschieden abgestritten, zumal dessen Àsthetische Abhandlung
einige hĂ€ufig ĂŒberlesene Reflexionen auf die historisch wandelbare Beschaf-
fenheit von konkreter Schönheit beinhalte, die SchÀfkes Deutung entschieden
entkrÀften.346 In der ersten Auflage wird etwa eine historische Qualifikation
der musikalischen GefĂŒhlswirkung vorgebracht, deren spezifische Empfin-
dung von Generation zu Generation anders ausfĂ€llt: âJede Zeit und Gesittung
bringt ein verschiedenes Hören, ein verschiedenes FĂŒhlen mit sich. Die Musik
bleibt dieselbe, allein es wechselt ihre Wirkung mit dem wechselnden Stand-
punkt conventioneller Befangenheitâ (VMS, S. 36). Die Idee der geschichtli-
chen KonventionalitÀt wird dann auch auf das konkrete Material erweitert,
342 Paul Bekker, âHanslickâ, in MusikblĂ€tter des Anbruch 5/10 (1923), S. 283â292, hier S. 284f.;
Hans Joachim Moser, Geschichte der deutschen Musik, Stuttgart/Berlin 1924, Bd. 3, S. 182;
Stange, Musikanschauung Eduard Hanslicks (wie Anm.Â
324), S.Â
232f.; Albert Wellek, Musik-
psychologie und MusikÀsthetik. Grundrià der systematischen Musikwissenschaft, Frankfurt 1963,
S. 201.
343 Lettgen, Melancholie (wie Anm. 255), S. 269 und 533.
344 Karnes, Challenge of History (wie Anm. 131), S. 50.
345 StrauĂ, âMusik der Zukunftâ (wie Anm. 243), S. 414. Vgl.: ders., VMS Teil 2 (wie
Anm. 22), S. 79 und 97, sowie einige seiner AufsÀtze in Hanslick Schriften (wie Anm. 16),
Bd. 1, S. 266f., 285f. und 310 und Bd. 2, S. 399.
346 StrauĂ, VMS Teil 2 (wie Anm. 22), S. 9, 38, 74 und 106. Siehe spĂ€ter jedoch ebenso: ders.,
Hanslick Schriften (wie Anm. 16), Bd. 1, S. 310 und Bd. 3, S. 333.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Titel
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Untertitel
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Autor
- Alexander Wilfing
- Verlag
- Hollitzer Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Abmessungen
- 16.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 434
- Schlagwörter
- Eduard Hanslick, Formalismus, MusikĂ€sthetik, Musik und GefĂŒhl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die âidealistischeâ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die âösterreichischeâ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang â Hanslicks âtönend bewegte Form[en]â 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik â Ăsthetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ăbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ăbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone MusikÀsthetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ăbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang â Hanslickâsche Rezensionen in Dwightâs Journal of Music 176
- 4. Was ist Ă€sthetischer Formalismus? â Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- AbkĂŒrzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423