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4.1. Die Wiege des ästhetischen Formalismus? – Kants Kritik der Urteilskraft
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Musikästhetik als einheitliche Schulbildung bezeichnete.914 Wenn aber auch
viele kursorische Erwähnungen dieses vermeintlich bewiesenen Verhältnisses
seine konstante Bedeutung für den Diskurs belegen,915 wurde dabei trotz allem
behutsamer argumentiert, als das aktuelle ‚englische‘ Forscher für nötig halten.
Bevor diese historische Verbindung von Hanslicks VMS-Traktat und Kants
Kritik der Urteilskraft eingehend analysiert wird, müssen mehrere relevante
Merkmale von Kants Lehre sowie seines angeblichen ästhetischen Formalis-
mus geklärt werden, die die anschließende Untersuchung überhaupt möglich
machen. Die nachfolgenden Ausführungen repräsentieren Kants System aber
keinesfalls vollständig, sondern haben einen klaren Fokus auf Kants Theorie der
‚schönen Künste‘, die für dessen ‚formale‘ Ästhetik und die Hanslick-Rezeption
besonders bedeutsam ist. Zunächst muss unter dieser thematisch gebundenen
Perspektive die Kant’sche Differenz von „freier“ und „anhängender“ Schönheit
offengelegt werden:916 „Die erstere setzt keinen Begriff von dem voraus, was der
Gegenstand sein soll; die zweite setzt einen solchen und die Vollkommenheit des
Gegenstandes nach demselben voraus.“917 Kant gibt hier mehrere Beispiele: Ein
Gebäude habe stets anhängende Schönheit, da dieses neben abstrakten Elementen
auch über eine praktische Funktion (Arsenal, Kirche, Palast) verfügt, folglich
teilweise auch nach selbiger beurteilt werden muss. „Zeichnungen à la grecque“
914 Karl Nef, „Kant und die Musik“, in Die Grenzboten 64/3 (1905), S. 32–36, hier S. 35. Vgl.:
Marschner, „Kants Bedeutung“ (wie Anm.Â
911), S.Â
28–35; Maecklenburg, „Musikanschau-
ung“ (wie Anm. 856), S. 211 und 216.
915 Für die frappante Verbreitung des Narrativs vergleiche zahlreiche Publikationen seit
etwa 1990: Huber, Text und Musik (wie Anm.Â
860), S.Â
24; StÅ™Ãtecký, „Form und Sinn“ (wie
Anm. 84), S. 90f.; Beinroth, Musikästhetik (wie Anm. 375), S. 156; Christine Lubkoll,
Mythos Musik. Poetische Entwürfe des Musikalischen in der Literatur um 1800, Freiburg 1995,
S. 77; Fubini, Geschichte Musikästhetik (wie Anm. 253), S. 172 und 275; Jens Kulenkampff,
„Kant, Immanuel“, in MGG², Kassel u.a. 2003, Personenteil Bd. 9, Sp. 1456–1463, hier
Sp. 1462; Manfred Wagner, „Theorie und Ästhetik der Musik im Wien des 19. Jahrhun-
derts“, in Die Kammermusik von Johannes Brahms. Tradition und Innovation, hrsg. von Gernot
Gruber, Laaber 2001, S. 37–46, hier S. 44; Fricke, „Kant“ (wie Anm. 53), S. 35f.; Adolf
Nowak, „‚Zweckmäßigkeit ohne Zweck‘. Eine Kantsche Idee und ihre musikästhetische
Rezeption“, in Werk und Geschichte. Musikalische Analyse und historischer Entwurf, hrsg. von
Thomas Ertelt, Mainz u.a. 2005, S. 49–59, hier S. 53; Rinderle, Musik, Emotionen, Ethik
(wie Anm. 443), S. 69.
916 Für die streckenweise problematische Unterscheidung siehe etwa auch: Geoffrey Scarre,
„Kant on Free and Dependent Beauty“, in BJA 21/4 (1981), S. 351–362; Robert Stecker,
„Free Beauty, Dependent Beauty, and Art“, in JAE 21/1 (1987), S. 89–99; Ruth Lorand,
„Free and Dependent Beauty: A Puzzling Issue“, in BJA 29/1 (1989), S. 32–40; Denis
Dutton, „Kant and the Conditions of Artistic Beauty“, in BJA 34/3 (1994), S. 226–241;
Philip Mallaband, „Understanding Kant’s Distinction Between Free and Dependent
Beauty“, in PQ 52 (2002), S. 66–81.
917 Kant, Kritik der Urteilskraft (wie Anm. 40), S. 83 (§16, A229).
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Titel
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Untertitel
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Autor
- Alexander Wilfing
- Verlag
- Hollitzer Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Abmessungen
- 16.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 434
- Schlagwörter
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423